2011

Morgen geht’s nach Bornholm

4 Uhr früh. Der Wecker klingelt. 4 Uhr? Es sind Ferien! Ja, aber wir haben eine lange Tagesetappe vor uns. Wir wollen nach Bornholm. Die erste richtige Seereise, die wir mit unserer „Rith“ machen.

„Wir“ das sind Peter, Annette und unser 11jähriger Sohn Leander, die vor einer Woche in Berlin gestartet sind und nun im Yachthafen „Swinemünde Nord“ liegen. „Unsere Rith“ ist eine 42 Jahre alte und 9,80 m lange Segelyacht aus Stahl. Ein topgetakelter Langkieler mit einer Verdrängung von annähernd 6,5 t. Als wir das Schiff vor vier Jahren kauften, war es komplett in seine Einzelteile zerlegt. Seitdem bauen wir es wieder auf. Mit jedem Jahr Bauzeit ist es vollständiger geworden und mit jedem Jahr haben wir uns mit ihm ein Stück weiter hinaus gewagt – zuerst auf die Berliner Gewässer, dann aufs Oderhaff, im letzten Jahr nach Rügen und nun also über die Ostsee nach Bornholm. Wir werden so weit segeln, bis wir kein Land mehr sehen können. Aufgeregt klettern wir aus unseren Kojen.
Eine halbe Stunde später steuern wir „Rith“ vorsichtig zwischen all den anderen Booten hindurch in Richtung Hafenausfahrt. Als wir gestern Abend schlafen gingen, war der Yachthafen voll. Jetzt platzt er aus allen Nähten. Wo immer es eine Möglichkeit gibt, eine Leine festzumachen, liegt ein Boot. Meist Segelyachten von 8m Länge an aufwärts. Verbotsschilder helfen da wenig. Hochsaison eben.
Während hier noch alles in den Kojen liegt und diesen kühlen und diesigen Morgen verschläft, herrscht im Handels- und Fährhafen schon reger Betrieb. Ich halte den Atem an, als sich eine Fähre von den Ausmaßen einer Häuserzeile in Berlin Prenzlauer Berg nur wenige Meter entfernt an uns vorüber schiebt. Der Ausguck an der Brücke winkt freundlich zu uns herab. Sie haben uns gesehen. Trotzdem fühlen wir uns sehr klein und zerbrechlich und atmen auf, als der Kasten uns unbeschadet hinter sich lässt.
Gleich hinter der schützenden Mole der Hafenausfahrt, erwarten uns eine frische Brise und Wellen von 1,5 bis 2 Metern.
Peter klinkt den Karabiner seines Lifebelts, eines Haltegurtes, der ihn gegen das Über-Bord-Fallen sichern soll in das Strecktau ein, das über die ganze Länge des Decks gespannt ist und es ihm ermöglicht, sich angeleint bis zum Bug zu bewegen. Dann steigt er aus dem Cockpit und hangelt sich nach vorne zum Mast. Unvorhersehbar, wie ein Pferd beim Rodeo, bewegt sich „Rith“ in der kabbeligen See. Ich habe alle Hände voll zu tun, das Schiff mit dem Bug im Wind zu halten, damit Peter die Segel hochziehen kann. Auf modernen Fahrtenyachten kann das Segel-Hochziehen aus dem Cockpit heraus erledigt werden. Aber „Rith“ ist ein Klassiker, da ist noch die Arbeit am Mast gefragt.
Segel dicht holen, Kurs 10°, hoch am Wind. Der bläst mit 4-5 Windstärken und heftigen Böen aus Nord-West. „Rith“ nimmt Fahrt auf. Das Steuern bei solchen Wellen ist uns noch ungewohnt und so wird das Dahinrauschen immer mal wieder unterbrochen, wenn sich eine Welle jäh am Bug bricht und uns aufstoppt. Immer wenn ich das Gefühl habe, den Rhythmus gefunden zu haben, auf den ich mich einschwingen kann, kommt so ein „Aufstopper“ oder ein Wellental, in das „Rith“, den Bug voran, hineinfällt, dass der ganze Rumpf erzittert. Und wir haben noch nicht gefrühstückt. Außerdem wird Leander, dem wir das allzu frühe Aufstehen ersparen wollten, gerade wach, ganz durcheinander von dem Geschlingere, in dem er sich wieder findet. Er muss schleunigst an die frische Luft. Nachdem ich ihm beim Anziehen von Segelhose, Jacke und Stiefeln geholfen habe und er ins Cockpit geklettert ist, versuche ich ein paar Brote zu schmieren. Vier Hände wären jetzt schön, oder besser fünf, um mich und die diversen Dinge festhalten zu können, die ich dafür brauche. Die Antirutschmatten, die ich überall ausgelegt habe, erfüllen ihren Zweck nur bis zu einem Neigungswinkel, den wir gerade regelmäßig überschreiten. Ich keile mich also so gut es geht zwischen Kartentisch und Pantry (Kochecke) ein, hindere mit dem linken Ellenbogen das Honigglas daran, von der Arbeitsplatte zu kullern, halte mit dem Bauch das Brotmesser auf, das über die Kante will und drücke den rechten Unterarm auf das Butterpäckchen, während ich mit beiden Händen gleichzeitig Brot, Brettchen und Messer festhalte und Butter und Honig verstreiche. Um Tee einzugießen, passe ich die kleine Pause ab, die sich
immer nach drei Wellen einstellt, dann mit Schwung einen Schwall in die Tasse, die in der Spüle steht. Bin ich froh, dass wir den Tee noch im Hafen gekocht und in die Thermoskannen gefüllt haben.
Schließlich sitzen wir satt und warm in unser Ölzeug verpackt im Cockpit. Richtig gut ist mir nur, wenn ich am Ruder sitze und steuere. Leander fühlt sich im Liegen am wohlsten, nur Peter scheinen die unvermittelten Bewegungen nichts auszumachen - solange er nicht unter Deck geht. Auf dem Jahrmarkt haben sie komplizierte technische Geräte, die einen gründlich und in alle Richtungen durchschütteln. So fühlt sich das hier auch an, mit dem Unterschied, dass das ganze nicht nach ein paar Minuten anhält, damit ich aussteigen kann. Vor uns liegen 74 Seemeilen (137 km), das bedeutet, wenn es gut läuft, eine Fahrzeit von ungefähr 15 Stunden. So gut läuft es allerdings nicht. Zwar zeigt die Logge (der Geschwindigkeitsmesser) die ganze Zeit mindestens 5 Knoten Fahrt (5 Seemeilen in der Stunde) an, in Böen sogar bis zu 7 Knoten, aber unsere Positionen, die wir jede Stunde in die Seekarte eintragen liegen frustrierend nah beieinander. Der Kurs hoch am Wind und die Wellen sorgen dafür, dass die Fahrt, die wir durchs Wasser machen, nicht der Strecke entspricht, die wir bei einem günstigeren Winkel zum Wind und glatter Wasseroberfläche zurücklegen könnten. Im Schneckentempo ziehen wir an Usedom vorbei. Dicke schwarze Regenwolken hängen tief über der Insel. Hier draußen ist es, abgesehen von ein paar kurzen Schauern, wenigstens trocken.
Steuern, regelmäßig die Position in die Seekarte eintragen, mal ein Reff ins Großsegel binden, sonst gibt es nicht viel zu tun. Wo wohl die anderen Segler aus unserem Berliner Segelverein jetzt unterwegs sind? Ob wir Stegnachbar Günther wieder treffen, wie vorletztes Jahr am Schiffshebewerk Niederfinow und letztes Jahr vor Rügen?
Nachdem wir „Rith“ gekauft hatten, suchten wir nach einem Segelverein, der die technischen Möglichkeiten bot, mit unserer, für Berliner Verhältnisse relativ großen und schweren, Yacht umzugehen, der also z. B. einen geeigneten Kran hatte, um „Rith“ im Winter aus dem Wasser nehmen zu können. Wir wünschten uns den Kontakt zu anderen Fahrtensegler, mit denen wir uns austauschen und von deren Erfahrungen wir, als „Greenhorns“ auf diesem Gebiet, vielleicht würden profitieren können. Und nicht zuletzt sollte es eine Kindergruppe geben, in der Leander Segeln lernen könnte, um einen eigenen Zugang zu Wind und Wasser zu bekommen, anstatt angeödet daneben sitzen zu müssen, während wir uns mit unserem Schiff beschäftigten. All das fanden wir im Wassersportverein 1921 in Berlin Karolinenhof, südlich von Grünau.

Den WSV 1921 gibt es – wie sein Name schon andeutet - seit 1921. Begonnen hatte es mit dem Angelsportverein „Rotfeder“, der sich aber bereits ein halbes Jahr später in „Wassersportverein 1921“ umbenannte, da die zu der Zeit um sich greifende Begeisterung für das Segeln mit kleinen Jollen auch viele Vereinsmitglieder erfasst hatte. Man fühlte sich der Arbeitersegelsport-Bewegung verbunden, die seit dem 1. Weltkrieg großen Zulauf hatte und trat ihrem „Freien Seglerverband“ bei.
Von Anfang an gab es für die Mitglieder, die mehrheitlich aus Neukölln, Treptow, Schöneweide und Prenzlauer Berg kamen, Übernachtungsmöglichkeiten auf dem Vereinsgelände. Bis heute erfreuen sich die zu beiden Seiten an die Wände der Bootsschuppen angebauten Räume, „Kojen“ genannt, großer Beliebtheit als Wochenendquartiere im Grünen.
Der Regattasport macht einen guten Teil der Vereinsaktivitäten während der Segelsaison aus. Immer wieder kann sich der WSV 1921 über Klassenmeister in seinen Reihen freuen. Es gibt eine Motorboot-Abteilung und eine sehr aktive Gruppe von Kanuten.
Viele Segler aber zieht es hinaus. Vor allem, seit es keine Beschränkungen der Fahrgebiete mehr gibt, wie zu DDR-Zeiten, als die Küstengewässer nur mit einer Sondergenehmigung befahren werden durften. Die war nicht einfach zu bekommen und wenn sie denn erteilt wurde, war nicht selten ein Teil der Familie, ausgeschlossen, um mögliche Fluchtgedanken gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Seit Polen zur EU gehört, sind auch hier keine zeitraubenden Formalitäten mehr zu erledigen und so ist der Weg nach Stettin, mit gelegtem Mast und unter Motor über Kanäle und Flüsse, in zwei Tagen zu schaffen. Hier wird der Mast gestellt und dann: „Willkommen im ‚Hausrevier’ der Berliner Fahrtensegler.“ Das Oderhaff, der Peenestrom, der Greifswalder Bodden und die Ostsee um Rügen und Hiddensee bieten auch denen viele Möglichkeiten für einen abwechslungsreichen Segeltörn, die nur zwei oder drei Wochen Zeit haben. Ein bisschen neidisch wird manchmal auf die Rentnerinnen und Rentner geschaut, die im Sommer wochen- oder monatelang mit ihrem Schiff herumziehen können und die nach Schweden, Dänemark oder Holland segeln.
Wem das See-Segeln zu aufreibend ist, wendet sich den Binnenrevieren wie Scharmützelsee, Schwielochsee, Mecklenburger Seenplatte oder Müritz zu.
Eine spektakuläre Reise auf eigenem Kiel machte vor einigen Jahren Jörg Lehmann, langjähriges, vielfältig aktives Vereinsmitglied. Ende September 2007 warf er in Karolinenhof die Leinen los, segelte mit seiner 10,20m langen Carat 34 über die Ostsee, die Nordsee und den Atlantik in die Karibik, von dort aus die nordamerikanische Süd- und Ostküste entlang und zurück durch den wegen seiner Sturmtiefs berüchtigten Nordatlantik. Zeitweise wurde er dabei von anderen Vereinsmitgliedern begleitet, große Strecken wie z. B. die erste Atlantiküberquerung, bewältigte er aber auch allein. Mitte Juni 2008 traf er wieder in Berlin ein. (Nachzulesen sind seine Erlebnisse im Internet unter www.kreuz-as-segeln.de)

Es ist 11 Uhr. Seit sechs Stunden arbeitet sich „Rith“ Welle für Welle in Richtung Bornholm voran. Der Wind, der den Vorhersagen nach von West auf Nordwest hätte drehen sollen, kommt inzwischen direkt aus Nord, also von da, wo wir hinwollen. So richtig viel Strecke haben wir noch nicht gemacht. Wenn wir jetzt den ganzen restlichen Weg auch noch aufkreuzen (im Zickzackkurs gegen die Windrichtung fahren) müssen, kommen wir vielleicht erst morgen an. Der Familienrat beschließt abzudrehen und nach Saßnitz zu fahren. Die richtige Entscheidung, wie sich bald herausstellt, denn ab Mittag lässt der Wind immer mehr nach. Dafür kommt mehr und mehr die Sonne durch. Ein paar Stunden später haben sich auch die Wellen beruhigt. Der Wind ist so schwach geworden, dass wir auf den letzen Meilen den Motor anwerfen, weil wir mit den Segeln allein kaum noch vorwärts kommen. Um 18 Uhr machen wir in Saßnitz fest. Etwas enttäuscht sind wir schon, dass aus der Fahrt nach Bornholm nichts geworden ist. Andererseits macht das aber auch den Reiz des Reisens unter Segeln aus, dass wir nicht immer wissen, wo wir morgen sein werden. Dass wir zwar Pläne machen können, am Ende aber Wind und See bestimmen, was daraus wird. Und nicht selten ist es das Unvorhergesehene, das nachher zu den schönsten Erinnerungen gehört.
Jetzt sind wir also hier, lassen uns ein üppiges Abendessen schmecken und genießen das grandiose Feuerwerk, das bei Einbruch der Dunkelheit über dem Hafen abgebrannt wird.

Und morgen geht’s nach Bornholm.
Annette Filitz

P.S.
24 Stunden später laufen wir, nach einem sonnigen Segeltag mit leichtem Wind und spiegelglatter See, in den Hafen von Rönne auf Bornholm ein. Und wirklich haben wir auf der Überfahrt eine Zeitlang kein Land mehr sehen können.


2010 - Die diesjährige Fahrt der Rith mit ihrer Besatzung könnt ihr hier nachlesen. -> Link (*.PDF)


2009 - Die "Rith" - nach 14 Jahren auf dem Trockenen - von Annette Filitz und Peter Besch


„Man muss dann auch einfach mal losfahren"

sagt Stegnachbar Detlef zu mir als ich mich voll bepackt an ihm vorbeischiebe, „das meiste von dem ganzen Kram braucht man nachher gar nicht". Stimmt, deshalb räumen wir auch erstmal aus – alles, was sich in zwei Jahren Bauzeit so angesammelt hat. Unsere Rith ist weit davon entfernt vollständig zu sein, aber sie segelt und wir wollen nicht bis zum nächsten Jahr warten. Einmal zum Oderhaff und zurück, ein Probetörn in zwei Wochen.

Die Liste der Dinge, die eigentlich noch eingebaut werden müssten wächst, je länger wir darüber nachdenken: Licht, haben wir noch nicht. Wir hängen die Lampen an und fahren nur tagsüber, dann merkt es keiner. Bilgenpumpe einbauen, schaffen wir nicht mehr – hoffen wir mal, dass alles gut geht. Toilette, bauen wir erst im Winter ein, aber im Keller steht noch Leanders alter Windeleimer. Den Tisch, die Schapptürchen und noch etwa 100 andere Kleinigkeiten können wir unterwegs montieren.

Es dauert noch fast die ganze Nacht, bis alles abtransportiert und herangeschafft, verstaut und erledigt ist.

Montag früh um halb neun geht es los. Was für ein wunderbares Gefühl abzulegen und zu wissen, unser Ziel ist nicht „Tonne Gosen", sondern beinahe das Meer. Wir schwelgen in dem Gefühl auf großer Fahrt zu sein bis kurz vor Grünau, dann geht der Motor aus. Luft in der Einspritzdüse. Peter hat den Tank erst gestern angeschlossen, da war wohl noch Luft in der Leitung. Nachdem der Motor entlüftet ist, geht es weiter. Die Euphorie hat einen kleinen Knick bekommen, aber so etwas gehört beim ersten Mal eben dazu. Was wir noch nicht wissen ist, dass uns das Thema die ganzen zwei Wochen begleiten wird.

Zwei Stunden und zwei Entlüftungspausen später kommen wir an die Schleuse in Berlin-Mitte. Unsere erste Schleuse mit Rith. Das Tor ist zu, also legen wir davor an, um zu warten. „Das blaue Sportboot nach hinten" tönt es aus dem Lautsprecher. Meint der uns? Und wieso hinten? Wir fahren noch eine Runde vor dem Schleusentor und stellen fest, dass es einen Extra-Warteplatz für Sportboote gibt - Aha! Dann geht die Schleuse auf, die Ampel schaltet auf Grün, wir sind schon fast drin, da geht der Motor aus. Zum Glück geht unserer 6,3 t schweren Dame nicht so schnell die Puste aus, wenn sie erstmal in Fahrt ist und so schaffen wir es mit dem letzten Restchen Schwung wieder bis an den Anleger, der nicht für uns bestimmt ist. Leander und ich besuchen den Schleusenwärter,

um ihm zu sagen, dass wir nicht aus Renitenz schon wieder dort liegen, während Peter den Motor entlüftet. Der Schleusenwärter ist vor allem froh, dass uns der Motor nicht in der Schleuse versagt hat, dann wären wir nämlich zu seinem Problem geworden.

Wie die Luchse lauschen wir auf jede Unregelmäßigkeit im Tuckern des Motors, während wir uns durch den Stadtverkehr zwischen Mitte und Charlottenburg fädeln. Hier mit dem Boot zu fahren, zwischen all den Ausflugsdampfern, die an einem schönen Sommertag wie heute um die Vorfahrt kämpfen, ist ungefähr so, als seien auf den Straßen außer einem selbst nur noch Berliner Taxen unterwegs. Wer sich dann noch vorstellt, dass jeden Moment der Motor ausgehen kann und wir dann keine Bremse mehr haben, kann ungefähr ermessen, wie erleichtert wir sind, als wir dieses Stück des Weges heil hinter uns gebracht haben.

Vor der nächsten Schleuse erkennen wir gleich die Wartestelle für Sportboote. Kurz nach uns kommen zwei Männer mit einem Segelboot und fragen: „Habt ihr schon angerufen?" „Angerufen? Wir haben kein Funkgerät" Sie verdrehen ein bisschen die Augen und fahren vor bis zu dem kleinen grauen Sprechkasten mit Knopf – Aha!

Im Niederneuendorfer See beschließen wir, dass es uns für heute reicht und halten Ausschau nach einer Badestelle mit Bootsanleger. Wir finden, was wir suchen an der Ferienanlage eines evangelischen Stifts – einen Badestrand mit Kindern für Leander, einen Steg mit Strom für Rith, Toiletten und Wasser in der Nähe. Wir werden freundlich willkommen geheißen, nur zuständig ist niemand und Hafengeld möchte auch niemand kassieren. Einen Schlüssel für das Tor am Steg haben wir nicht und klettern stattdessen auf dem Weg zur Toilette jedes Mal über den Zaun. Niemanden wundert sich darüber.

Am nächsten Morgen wechselt Peter ein Stück der Dieselleitung aus, um so vielleicht das Luft-Problem zu beheben. Dann fahren wir los. Frühstück gibt es unterwegs, sonst wird es zu spät. Unterbrochen von Entlüftungsstopps tuckern wir durch die Kanäle. Wir entwickeln eine gewisse Routine im Umgang mit unserem Problem. Sobald der Motor anfängt zu husten springe ich an die Pinne (wenn ich nicht schon dort bin) und Peter nach unten. Wir lassen Rith treiben bis die Luft raus ist und der Motor wieder angehen kann. Das passiert ungefähr einmal pro Stunde.

Vor der Schleuse Lehnitz müssen wir eine Weile warten, die Zeit reicht, um einen Kabeldurchlass auf dem Deck zu montieren. Den Plan „einer sitzt am Ruder und einer macht mit dem Innenausbau weiter" mussten wir fallen lassen. Der Motor ist noch nicht gedämmt und setzt den Salon derart unter Lärm, dass man schon nach ein paar Minuten Aufenthalt unter Deck völlig mürbe ist. Ohrenschützer haben wir leider nicht mitgenommen. Zum Glück hält sich das Wetter. Leander hat es sich mit seinen Büchern und Spielsachen in der Bugkajüte gemütlich gemacht. Wenn die beiden Türen zum Salon zu sind, ist es hier ganz erträglich.

Von Marienwerder als Zwischenstopp hatten wir schon gehört – hier bleiben wir heute. Ein Dorf mit einem Tante-Edeka-Laden und einem „Eisgarten", das ist ein Brachgrundstück mit einer Verkaufsbude und Biertischen und –bänken darauf. Das Schönste sind die mit bunten Früchten bedruckten Wachstuchdecken auf den Tischen. In der Bude steht eine ältere Frau in Kittelschürze. Ich bestelle einen Eiskaffee. Sie füllt Eiscreme und Kaffee in einen Plastikbecher. Dann greift sie zu einem imposanten Siphon und drückt auf den Hebel. Aus dem Siphon läuft weiße Soße. „Wie hat er denn das nur wieder…" schimpft sie leise und drückt noch einmal. Wieder weiße Soße. Hilflos blickt sie mich an, ob es mir was ausmacht? „Schon gut", sage ich und nehme den Kaffee wie er ist. Offenbar ist sie eine Vertretung und auf so komplizierte Bestellungen nicht vorbereitet.

Dann ist Leander dran, er möchte einen Erdbeerbecher. Die Frau verlässt die Bude durch eine Tür in der Rückseite und kommt nach vorne, um auf dem Schild nachzulesen, was in einen Erdbeerbecher gehört, bevor sie ihn zubereitet. Peter bestellt einen Ananasbecher. Wieder verlässt sie die Bude, um auf dem Schild nachzusehen, dann geht sie zurück und macht für Peter auch einen Erdbeerbecher. Offenbar haben wir sie an ihre Grenzen gebracht. Das haben wir nicht gewollt. Wir geben uns mit dem zufrieden, was wir bekommen haben und setzen uns in die Sonne. Ein paar Minuten später steht die Frau mit dem Siphon in der Hand neben mir. Sie hat ihm sein Geheimnis entlockt und ich bekomme eine große Extraportion Schlagsahne in meinen Becher.

Schiffshebewerk Niederfinow am nächsten Vormittag. Wir wollen gerade hinausfahren, da geht der Motor aus und der Gaszug löst sich. Peter verschwindet fluchend eine Etage tiefer. Zum Glück verzögert sich das Hinausschleppen einer Schube. Zeit genug, alles provisorisch in Gang zu bringen. Erstmal aus dem Hebewerk hinaus und dann gleich irgendwo anlegen, bevor der Gaszug wieder abgeht. Wir haben uns schon einen Steg ausgesucht, da sehen wir Günther, unseren Stegnachbarn aus dem Segelverein mit seiner „Da Capo" vor dem Hebewerk liegen. Winken und Rufen hin und her. Jetzt sind wir zu stolz, um anzuhalten und tun so, als sei alles Bestens. Gut so, denn das Fahrgastschiff, das mit uns im Hebewerk war, steuert gerade auf „unseren Steg" zu – scheint „seiner" zu sein und den machen wir ihm besser nicht streitig.

„Hallo, hier ist Sportboot Rith, wir möchten bitte in der Ostschleuse geschleust werden" Die Schleuse Hohensaaten ist unsere fünfte Schleuse, wir fühlen uns schon wie die alten Hasen. „Wir sind noch an der Westschleuse und kommen dann zu Ihnen rüber" schnarrt es zurück. Die Westschleuse führt in die Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße, die konstante Wasserstände garantiert, die Ostschleuse in die Oder, die ganz tief oder ganz flach sein kann, je nachdem. In diesem Frühjahr und Sommer hat es viel geregnet und unsere Pegelabfragen per Telefon haben beruhigende Ergebnisse gebracht.

Schon in der Schleuse sind wir ganz allein und als wir hinausfahren auf die Oder und sich das Tor hinter uns schließt, ist es, als machte Deutschland die Tür hinter uns zu. Auf diese Weite und Leere sind wir nicht gefasst, nicht nach den überschaubaren Dimensionen, aus denen wir eben gekommen sind. Ein Strom nimmt uns auf und trägt uns mit sich fort, ein Strom mit ausladenden Schilfufern und einem großen Himmel darüber, der alles ins Licht einer leicht verschleierten Nachmittagssonne taucht. In meine Verzauberung mischt sich eine leichte Beklommenheit. Was ist, wenn hier der Motor endgültig versagt? Wir sind allein, mutterseelenallein. Kein anderes Boot auf dem Wasser, kein Mensch an den Ufern. Ist Hohensaaten-Ost eine Zauberschleuse, die uns in einen anderen Erdteil geschleust hat, oder in eine andere Zeit? Staunend treiben wir nach Norden.

Später tauchen auf der polnischen Seite Dörfer auf und Wälder. Das Ufer belebt sich. Zuerst ein einzelner Angler hier und da, dann werden es mehr und immer mehr. Ganze Familien sitzen am Ufer und winken uns fröhlich zu. Die deutsche Seite bleibt leer. Jetzt treffen wir auch mal ein Boot oder ein Frachtschiff. Solche Begegnungen bleiben aber selten. Einmal sehen wir ein Kanu mit zwei Paddlern. Die müssen sich noch viel einsamer vorkommen als wir – vor allem in dem Wolkenbruch, der kurz darauf niedergeht und alles hinter einem Vorhang aus Wasser verschwinden lässt. Wir hocken unter unserer Abdeckplane und versuchen zu erkunden, ob die nächste Flussbiegung nach rechts oder nach links führt. Zum Glück klart es bald wieder auf und der Fluss breitet sich vor uns aus, übergossen von rosigstem Abendlicht.

Wir fahren mit der Strömung und kommen gut voran. Trotzdem werden wir es nicht schaffen, bis zum Sonnenuntergang in Stettin zu sein und nach Sonnenuntergang können wir nicht mehr fahren, weil unsere Lampen nur Dekoration sind. Häfen gibt es hier nicht. An manchen Stellen verzeichnet die Karte „Liegemöglichkeiten". Die sind aber entweder nicht auszumachen, oder mit großen „Anlegen-Verboten"-Schildern versehen. Langsam werden wir nervös, aber am Ende findet sich ja doch immer noch etwas. Für uns wird es eine kleine Bucht kurz vor Gryfino. An der Bucht liegen zwei Reihen kleiner Reihenhäuser, dazwischen ein Becken mit Ruder- und Motorbooten, daneben ein ziemlich wackelig aussehender Steg. Ein paar Männer sitzen am Ufer und angeln. Mit fröhlichem Winken und aufmunternden Rufen werden wir an den Steg dirigiert. Er hält wirklich und das Wasser ist auch tief genug. Hier können wir bleiben. Einer der Männer spricht ein bisschen deutsch und es entspinnt sich ein kleines Gespräch um das Woher und Wohin. Später hätten wir ihn gern noch auf ein Bier eingeladen, aber da wird es schon dunkel und die Angler sind in ihren Häusern verschwunden. Am nächsten Morgen hinterlassen wir ein paar Flaschen Bier und einen Zettel mit einem Dankeschön, das wir mir Hilfe des kleinen Deutsch- Polnisch-Wörterbuches verfasst haben, bevor wir – diesmal wirklich früh – aufbrechen. Frühstück gibt es unterwegs.

Drei Stunden später liegen wir in einer Edelmarina mit schickem Restaurant und Bewachung rund um die Uhr im Damschen See bei Stettin. Ein harter Tag für Leander. Seine Eltern sind damit beschäftigt, den Mast zu stellen, Schapptüren zu montieren und alles sicher zu verstauen und zu befestigen. Er streunt etwas verloren durch den Hafen. Einen Spielplatz gibt es hier nicht. Kinder auch so gut wie keine. Und wenn doch mal eins auftaucht, spricht es polnisch. Endlich ist alles getan. Abendessen, alle noch mal unter die Dusche und früh ins Bett – Morgen segeln wir!

Am nächsten Morgen gibt es kein Halten mehr. Peter zieht die Segel hoch, ich hole die Großschot dicht, Rith legt sich auf die Seite, es klirrt. Die Müsliteller, die ich für das Frühstück, das es mal wieder unterwegs geben sollte, schon rausgestellt hatte, liegen in Scherben über den Salonboden verteilt.

Macht nichts, wir segeln. Rith stürmt los wie ein Pferd, das einen viel zu langen Winter im Stall eingesperrt war. So haben wir sie noch nicht erlebt. Endlich, nach 14 Jahren Dornröschenschlaf, ist sie wieder in ihrem Element, darf laufen, was der Wind und die Segel hergeben. Währenddessen haben wir alle Hände und Augen voll zu tun, um zu verhindern, dass sie sich in einem der unzähligen Stellnetze auf dem See verfängt.

So vieles ist neu an diesem Tag. Wir gewöhnen uns an, das Echolot im Blick zu behalten, versuchen genau zu sein mit der Positionsbestimmung, erfahren den Moment, in dem Rith anfängt zu bocken und ein Reff braucht und nicht zuletzt lernen wir, dass Schapptüren geschlossen und Teller im Schrank bleiben sollten wenn wir hier segeln.

Die Sonne scheint, der Wind nimmt zu, Rith tanzt über die Wellen und in mir breitet sich das Gefühl aus, dass wir es geschafft haben. Dass wir hier sind, mit unserem Boot. Dass das, was wir in all den Stunden, in denen wir geschliffen, gemalt, geschraubt und montiert haben, immer vor Augen hatten, jetzt beginnt, Wirklichkeit zu werden. Wir sind auf der Reise.

Im Stettiner Haff erwarten uns drei Meter hohe Wellen. Da hat die Gegend ja wirklich alles aufgefahren, um uns auf unserer ersten Fahrt gebührend in Empfang zu nehmen. Wir wissen das zu schätzen, müssen aber dankend ablehnen. 14 Seemeilen nach Altwarp gegen diese Wellen ankreuzen, wie lange mag das dauern, schaffen wir das bis Sonnenuntergang? Selbst Leander, der sich schon auf einen Hafen mit deutschen Kindern gefreut hat, ändert nach einer halben Stunde Schaukelei, die uns nicht wirklich weit bringt, seine Meinung. Dann ist es eben heute Trzebiez. Hier gibt es einen Fischereihafen, eine Dampferanlegestelle und weiter hinten einen Yachthafen. An der Dampferanlegestelle liegen schon ein paar Sportboote, wir legen uns dazu. Das „Anlegen verboten" Schild haben wir gar nicht gesehen. Der Kapitan Portu, ein richtiger Hafenkapitän mit Uniform, möchte wissen, was wir vorhaben. Morgen um 11.00 kommt der Dampfer. Wenn wir bis dahin weg sind, dürfen wir bleiben. Der Hafen wird voll. Es sind hauptsächlich polnische Boote auf Wochenendfahrt. Ein ganz grau und missmutig aussehender Mann auf einer Segelyacht holt ein Bandoneon hervor und beginnt polnische Lieder zu singen. So eine schöne und kräftige Stimme hätte ich in ihm nicht vermutet. Wehmütig schallt es durch den Hafen.

Der Samstag ist warm und sonnig. Wind und Wellen haben nachgelassen und wir segeln gemütlich nach Ueckermünde. Wir haben Leander einen Strand versprochen und bleiben in der Marina am Haff. Die Hafenbecken liegen zwischen Mehrfamilienhäuser mit Ferienwohnungen. Ich stelle mir vor, wie die Menschen aus ihren Mehrfamilienhäusern in Berlin oder Gelsenkirchen anreisen um hier ihre Ferien in den gleichen Mehrfamilienhäusern zu verbringen. Und ich frage mich, ob das für sie beruhigend oder frustrierend ist.

Leander findet einen Jungen, mit dem er angeln kann. Abends backen wir Pizza in Tante Helgas altem elektrischen Minibackofen. Danach liegen wir in der Plicht, schauen in den überwältigenden Sternenhimmel und sprechen über die Unendlichkeit.

Am Sonntag sind wir um halb eins mit Peters Eltern in Karnin verabredet. Ein Katzensprung, zumal der Wind wieder zugenommen hat. Da können wir noch ausgiebig frühstücken. Es ist das einzige Mal auf dieser Reise, dass wir im Hafen frühstücken, aber heute ist ja auch Sonntag. Ein Bilderbuchsonntag ganz Sonne, Blau und Wind. Wir fliegen übers Haff. Die alte Eisenbahnhubbrücke von Karnin wird immer größer, in einer halben Stunde sind wir da… da ist es jäh vorbei mit dem Fliegen. Da ist rundherum alles wie eben auch, nur wir bewegen uns nicht mehr. Aufgelaufen. Keine 10 Meter neben der Fahrrinne. So streng ist das hier. Im Handumdrehen ist Peter im Wasser – es geht ihm bis zur Brust. Das Echolot zeigt 1,30 m, unser Tiefgang ist 1,35m. Peter zieht, schiebt, zerrt, drückt und ruckt. Nichts bewegt sich. Und weit und breit kein Boot, das wir um Hilfe bitten könnten. Erstmal die Segel runter und dann probieren wir, uns mit dem Anker rauszuziehen. Peter nimmt ihn und läuft in Richtung Fahrrinne. Das Gewicht des Ankers hält ihn am Grund. Als ihm die Luft ausgeht, wirft er den Anker noch ein Stück nach vorne und taucht auf. Die Ankerwinde schafft es nicht, unsere 6,3 t, die satt im Sand sitzen, zu bewegen. Vielleicht mit dem Motor? Aber Rith liegt inzwischen so auf der Seite, dass wir Angst haben, dass der Öldruck zusammenbricht. Also den Motor lieber wieder aus und noch mal zerren, schieben wriggen und ruckeln, oder doch mit Segeln? Wind und Wellen kommen aus der richtigen Richtung. Die Segel hoch und von hinten schieben. Rith bewegt sich, ich rufe „Peter, komm rauf", er zieht sich an der Reling hoch – keine Sekunde zu früh, Rith macht einen Satz und schießt los. Ich habe alle Hände voll mit Segeln und Ruder zu tun. Die Badeleiter hängt noch draußen, nein hängt sie nicht mehr, die ist weg, hat sich wohl Rasmus genommen, sie sei ihm gegönnt, Hauptsache, wir sind wieder frei. Jetzt schön in der Fahrrinne bleiben und die Segel können auch schon runter, denn in der Enge vor Karnin kommt der Wind, der weiter zugenommen hat, direkt von vorn. Den Motor an, der Motor geht aus. Treiben lassen können wir uns hier nicht, bei dem Wind und dem Verkehr (wo waren diese vielen Boote vorhin, als wir festsaßen?). Wir ankern, entlüften den Motor, die übliche Prozedur. Jetzt sind wir aber auch gleich da, nur noch um die Ecke. Ein Schrei, ein Fluch, Peter hechtet zum Bug. Jetzt sehe ich es auch. Das Vorstag schwingt in weiten Schlägen hin und her. Peter bekommt es zu fassen. Nicht zum ersten Mal bin ich froh, dass er so groß ist. Er nimmt einen Festmacher und sichert das Vorstag. Der Beschlag, mit dem es gespannt wird, hat uns noch nie so richtig gut gefallen. Jetzt hat er sich offenbar durch dass Zerren und Ziehen gelöst. Zum Glück sichern unsere Unterwanten den Mast auch ein bisschen nach vorne. Bei dem Gedanken, was sonst hätte passieren können, bekomme ich noch heute weiche Knie. Aber dazu ist erstmal keine Zeit, denn wir sind im Hafen. Unsere Karte sagt, dass nur die ersten vier oder fünf Boxen dieses Hafens tief genug für uns sind. Leider weht der Wind genau von schräg hinten in diese Boxen hinein. Besser wäre es, um den Steg herum zu fahren und gegen den Wind anzulegen, aber angeblich ist der Hafen an der Umfahrt nur 90 cm tief (in Wirklichkeit sind es 2,40m, wie mir ein erstaunter Hafenmeister später sagt). Auf dem Steg stehen Peters Eltern und einige Sportbootskipper, um unsere Leinen anzunehmen und so hätte alles gut gehen können, wenn nicht ausgerechnet die Leine, die Peter gebraucht hat, um das Vorstag zu sichern, jetzt die Wichtigste, nämlich die vordere Luvleine gewesen wäre. Die fehlt nun und nur mit der Achterleine gelingt es nicht Rith am Dalben zu halten. Wir treiben quer, die Leine rutscht mir durch die Hände und hinterlässt eine dicke Brandblase. Zum Glück sind noch nicht viele andere Boote da und wir haben genug Platz für einiges Hin und Her, bis wir, unterstützt von vielen guten Ratschlägen und auch tatkräftiger Hilfe schließlich mit dem Heck zum Steg festkommen.

Peters Eltern laden uns zum Essen ins „Haffblick" ein. Im windgeschützten Garten in der Sonne sitzen und aufs Wasser sehen, wo weit hinten die Segelboote vorbeiziehen. Wie leicht und friedlich das aussieht.

Vielleicht ist doch etwas dran an dem Aberglauben, dass man auf dem Wasser nie sagen soll, wann man ankommt. Dass Rasmus sich herausgefordert fühlt durch solche Gewissheit. Oder war es Riths eigener Klabautermann, der uns mal so richtig rotieren sehen wollte?

Nachmittags gehe ich Brombeeren pflücken. Wunderbar beruhigend ist das und die Ausbeute gibt es abends zum Nachtisch, mit Waffeln und Schlagsahne.

Peter taucht Riths Rumpf ab, um zu sehen, ob unser Abenteuer irgendwelche Schäden hinterlassen hat. Hat es nicht. Dafür entdeckt er, dass sich am Ruder ein Stück, das wir ausgeflickt hatten, wieder gelöst hat. Möglicherweise die Erklärung dafür, dass der Bug immer gewaltig nach steuerbord zieht, vor allem wenn wir unter Motor fahren. Gegenhalten ist dann richtig Arbeit. Ändern können wir das jetzt nicht, aber zu wissen, dass das nicht so bleiben muss, ist auch schon ein Trost.

Morgen haben wir einen Termin – die Brückenöffnungszeit der Zecheriner Brücke. Frühstück gibt es unterwegs, dann schaffen wir es gut. Abends wollen wir meinen Bruder Albrecht, der in Wolgast wohnt, treffen. Wieder weht ein kräftiger Wind und Rith segelt flott dahin. Diesmal bleiben wir schön in der Fahrrinne, obwohl um uns herum alle eine Abkürzung zu kennen scheinen.

So langsam spielen sich die Abläufe ein. Das Segeln wird zum Reisen. Wie gut das tut aus dem Zeittakt unserer Alltagsgeschwindigkeit herauszukommen. Es ist wie Tai Chi, wir schwingen uns ein auf die Elemente, mit denen wir umgehen. Eine innere Ruhe kehrt ein, die ich wünschte mitnehmen zu können in unseren Alltag in der Stadt.

Schon am frühen Nachmittag sind wir im Wolgaster Stadthafen. Peter und Albrecht nehmen die Dieselleitung mit allen Filtern genau unter die Lupe und finden – nichts. Schade. Auf die dauernden Motoraussetzer, die mit Vorliebe im ungünstigsten Moment passieren, hätten wir gerne verzichtet. Später sitzen wir mit einem Glas Rotwein in der Sonne und sehen dem Hafen beim Arbeiten zu. Ab morgen sind wir auf dem Rückweg.

Auf dem Haff weht es diesmal kräftig von achtern. Böen bis Stärke 7 sind angesagt. Heute reicht die Fock zum Fliegen und sogar Wellen stehen auf dem Programm. Leander liegt in der Bugkajüte und liest. Also anfällig für Seekrankheit ist er schon mal nicht.

Unser Ziel ist Altwarp, ein Fischereihafen. Auf dem Haff haben wir schon die Fischkutter gesehen, wie sie, von einer Aureole aus Möwen umgeben, durchs Wasser pflügen. Ich bin bekannt dafür, einiges (außer selber angeln) auf mich zu nehmen, um an fangfrischen Fisch zu kommen. Leider ist hier auch mit Bitten und Betteln nichts mehr zu machen. Wir sind zu spät, der Fisch ist weg und auch die Hafenkatzen dösen schon mit vollen Bäuchen in der Sonne. Die Fischer richten noch die Netze für den nächsten Morgen und gehen nach Hause. Na gut, dann gibt es eben Tortellini. Für morgen ist wenig Wind angesagt. Wenn wir heute noch die Genuaschiene montieren, können wir morgen auch einmal die Genua ausprobieren.

Es wird ein Bilderbuchtag – sonnig und warm. Nur den Wind haben sie vergessen. Selbst der Genua gelingt es kaum, ein Lüftchen einzufangen. So ist das beim Segeln, das Wetter bestimmt die Reisegeschwindigkeit. Und so soll es auch sein. Deshalb bleibt der Motor aus. Stattdessen schreiben wir, spielen, lesen Geschichten vor, trinken Tee und essen Kekse. Leander kann zum ersten Mal auf dieser Reise die Angel raushängen. Zum Glück beißt kein Fisch an. Bis nach Stettin kommen wir so heute nicht. Aber wenn wir jetzt den Motor anmachen, war das unser letzter Segeltag. Nein, dann lieber nicht. Bleiben wir noch einmal in Trzebiez. Morgen fahren wir dann ganz früh los, legen den Mast und fahren noch ein Stück in Richtung Berlin. Mit derart beruhigtem Gewissen schleichen wir weiter.

In Trzebiez hat diesmal ein anderer Kapitan Portu Dienst. Er möchte 16,60 Zloty oder 4 Euro Hafengeld. Er hat sich bestimmt vertan. Soll ich was sagen? Ja, sie sind so freundlich hier: „Vor ein paar Tagen haben wir 8-Euro bezahlt" „8 Euro?" sagt er, „das ist viel zuviel" Keine weiteren Diskussionen.

Wir gehen in den Laden und kaufen Äpfel, die schmecken wie aus dem eigenen Garten und eine besonders leckere Räucherwurst. Abends essen wir im Restaurant. Man sitzt auf Wohnzimmersesseln im Garten. Ein Springbrunnen plätschert unter einem Pflaumenbaum. Ein paar kleine Ziegen in einem Gehege begeistern die Kinder. Um uns herum polnische Familien und Gruppen von Männern, die um die Wette rauchen. Ich bestelle Aalquappen, einheimische Fische, von denen mein Vater erzählt, dass sie sie als Kinder geangelt hätten. Sie schmecken gut, die Kindheitserinnerungen meines Vaters.

Dank Peter, dem auf dieser Reise der Titel des „Early Bird" gebührt (obwohl das sonst gar nicht so seine Art ist), sind wir am nächsten Tag wirklich früh unterwegs und könnten bei dem Wind auch schnell im Damschen See sein, wenn der Wind nicht genau von vorne käme. Aber deshalb den Motor anmachen? Und diesen Wind verschenken? Nein, wir kreuzen. Stunde um Stunde. Und genießen es in vollen Zügen. Am frühen Nachmittag sind wir da. Diesmal in einem Vereinshafen in Dabie, mit freundlichen Menschen, einer Spielwiese und alten Bäumen. Jetzt schnell den Mast legen und dann losfahren Richtung Berlin? Das wird zu spät. Nebenan ist ein Strandbad, gehen wir doch erstmal Schwimmen bei der Hitze und legen den Mast, wenn es kühler ist. Morgen fahren wir dann ganz früh los. Während wir den Mast legen, hat Leander eine Spielkameradin gefunden, mit der er kein Sprachproblem hat – eine sehr verspielte kleine Katze. Stundenlang jagen die beiden sich. Als wir am nächsten Morgen vom Zähneputzen zurückkommen, sitzt sie in Leanders Koje und wartet auf ihn. Er würde sie am liebsten mitnehmen. Das geht natürlich nicht und als der Motor angeht, springt sie auch gleich von Bord.

Wir fahren genau in ein Gewitter hinein. Als sollte uns der Abschied leicht gemacht werden. Diesmal wollen wir den Kanal nehmen, um nicht gegen die Strömung fahren zu müssen. Im Regen suchen wir unseren Weg durch den ziemlich verlassenen Stettiner Hafen. Ich bin gerade unten, um Frühstück zu machen, als Peter nach mir ruft. Wir stehen vor einer Brücke, die aussieht, wie ein Mauseloch. 1,89m Durchfahrthöhe steht auf einem Schild (2,60m stehen in der Karte) Da passen wir niemals durch. Versuchen wir’s. Peter steht auf dem Deck und zieht uns an der Brückenwölbung vorsichtig vorwärts. Es handelt sich um Zentimeter, aber es geht.

Der Regen lässt nach und wir ziehen so dahin. Auch hier treffen wir selten ein anderes Boot. „Der Kanal ist ja auch sehr schön. Sieht gar nicht aus wie ein Kanal, mit den Schilfufern. Hat sogar Gegenströmung. Und guck mal, an dem Dorf sind wir auf der Herfahrt doch auch vorbeigekommen, dass das auch so dicht am Kanal liegt…" Wir brauchen bis Gryfino, bis uns klar wird, dass wir den Kanal verpasst haben und wieder auf der Oder sind. So ein Mist, denn wir sind (eigentlich schon gestern) mit unserm Freund und Bootsbauhelfer Marco und seiner Familie in Stolzenhagen verabredet und das liegt am Kanal. Zum Glück gibt es die Querfahrt bei Schwedt. Jetzt kommen wir nicht nur einen Tag sondern einen Tag und zwei Stunden zu spät. Es wird trotzdem ein schöner Abend.

Der Rest der Fahrt verläuft ruhig. Wir sind dazu übergegangen, den Motor nicht erst ausgehen zu lassen, sondern ihn ungefähr jede halbe Stunde während der Fahrt zu entlüften. Das ist zwar nicht ganz so effektiv, aber erspart uns die Schrecksekunde und gibt uns das Gefühl, die Sache im Griff zu haben.

Am Sonntagmittag sind wir wieder in Berlin. Zwischen Reichstag und Schleuse ist die Hölle los. Peter entlüftet alle 10 Minuten, damit uns in diesem Verkehr auf keinen Fall der Motor ausgeht. Auch auf der Spree herrscht sonntägliches Treiben. Da kommen wir uns noch ein bisschen fremd vor. Aber es ist schön so allmählich anzukommen, dass die Eindrücke und Erinnerungen schon Zeit gehabt haben, ihren Platz zu finden und nicht mehr alle durcheinander schwirren in unseren Köpfen.

Als wir anlegen stehen schon zwei Kinder aus der Optigruppe auf dem Steg und warten auf Leander. Für ihn geht es direkt ins Segellager, während Peter und ich anfangen auszuräumen.

„Da seid ihr ja schon wieder" sagt Detlef zu mir, als ich mich vollbepackt an ihm vorbeischiebe.