Entlang der portugiesischen Küste

Wieder unterwegs…die portugiesische Küste ruft…
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge haben wir Anfang Mai Cangas verlassen. Etwas länger als ein halbes Jahr ist dieser kleine Ort in der Bucht von Vigo in Galizien unser zu Hause gewesen. Wir haben ihn zu unserem Zuhause gemacht, haben Freunde gefunden und Alltag gelebt, uns eingelebt und es uns auch mehr oder weniger gemütlich gemacht. Aber wir wussten immer, dass es nicht auf ewig sein wird. Und mit der Zeit verspürten wir eine leichte innere Unruhe, es sollte wieder los gehen. Wir wollten segeln, unterwegs sein und Neues entdecken.
Die portugiesische Küste ruft. Aber sie hat es auch in sich. Wie oft haben wir gehört, dass sie nicht einfach zu segeln ist. Wenige Häfen und Häfen, die bei starken auflandigen Winden und hoher Welle schwer anzulaufen sind oder gar komplett schließen. Die portugiesische Marine betreibt hier vorsorglich eine Internetseite, auf der der aktuelle Status aller portugiesischer Häfen eingesehen werden kann. Diesen Aspekt in die Törnplanung mit einzubeziehen ist mehr als ratsam, denn die Konditionen können sich schnell ändern.

Eines Morgens war es dann so weit, Wind und Welle passten. Lebensmittel und Wasser hatten wir bereits gebunkert, der Dieseltank war gefüllt. Wir lösten die Leinen, verließen den Hafen und setzten die Segel. Es sollte erst einmal ein kurzer Törn werden, in die Bucht von Baiona. Dort wollten wir vor Anker gehen. Auf Höhe Baiona war der Wind jedoch so gut, aus Norden kommend, ein Wind, der direkt in Richtung Portugal weht. Wir schauten uns an, beide hatten wir den gleichen Gedanken: „Und wenn wir bis Viana do Castelo segeln?“ Viana ist der erste portugisiesche Hafen hinter der spanischen Grenze. Wir segelten in Küstenähe und warfen noch einmal eine längeren Blick auf Galizien. Adios Espana.
An der Grenze zu Portugal wurde das Meer plötzlich turbulenter. Wellen schienen aus verschiedenen Richtungen anzulaufen. Wir passierten die Mündung des Grenzflusses Mino. Unser Autopilot schaffte es nicht mehr den Kurs zu halten. Ich übernahm die Pinne und versuchte die Wellen abzusurfen. Eine willkommene aktive Ablenkung für mich, denn turbulente Wellen stellen meine Seefestigkeit weiterhin auf harten Prüfstand.
Nachdem wir die Flussmündung passiert hatten wurde es schlagartig ruhiger. Wir hatten Portugal erreicht. Das Heißen der portugiesischen Gastlandflagge verkniff ich mir aber erst einmal, steuern und auf den Horizont schauen bekamen mir in diesem Moment deutlich besser als in der Kajüte, in einem Schrank nach der Flagge zu suchen, hahaha.
Nach 40 Seemeilen und 8 Stunden Fahrt erreichten wir die Mündung des Flusses Lima und damit die Einfahrt nach Viana do Castelo. Die ablaufende Tide machte den Fluss in seiner natürlichen Fließrichtung noch etwas schneller. Für uns bedeutete das unter Motor gegen den Strom zu fahren. Über Funk kontaktierte ich die Marina.
Wir sollten an einem Warte-Ponton mitten im Fluss festmachen. Ok, das würde unsere erste Erfahrung „Anlegen in einem stark strömenden Gewässer“ werden. Langsam näherten wir uns an. Zwei größere Segelboote lagen bereits am Ponton. Der einzige Platz für uns war genau zwischen ihnen. Glücklicherweise schien die Lücke groß genug für uns zu sein. Von Vorteil war, dass wir gegen den Strom anlegen konnten, damit wird das Boot ausgebremst. Dennoch schafften wir es nicht die Vorleine schnell genug über zu bringen und die Strömung fing an Augustas Bug vom Steg wegzudrücken. Nur mit Hilfe unserer Bootsnachbarn schafften wir es mit vereinten Kräften Augusta in eine parallele Position zu bringen und fest am Ponton zu vertäuen. Puh, das war anstrengend. Ich hatte die Kraft der Strömung unterschätzt. „Und hier sollten wir eine Nacht verbringen, mitten im Fluss, mit dieser Strömung?“, dachte ich mir. Ganz geheuer war uns das nicht. Nachdem ich uns beim Hafenmeister angemeldet hatte, erfuhr ich von einer Alternative. Es gäbe ein paar wenige Liegeplätze im geschützten Hafenbereich, nur die Sanitäranlagen seien 1,5km entfernt. „Egal“, dachte ich, „Hauptsache wir liegen nicht in der Strömung.“ Wir entschieden uns, uns sofort in den Hafen zu verholen. Langsam wurde es Abend und wir wollten vor der Dunkelheit dort liegen. Wir hätten warten sollen. Das Ablegemanöver misslang. Heckleine und Achterspring vertörnten sich und die Strömung drehte uns innerhalb von Sekunden um 180 Grad. Die Strömung war so stark, dass wir nicht dagegen ankamen. Wir konnten weder die Leinen lösen noch uns wieder in die parallele Position zum Steg bringen. Aber, wir lagen fest mit dem Heck am Ponton. Mit dem Bug nun zwar weit weg vom Steg und in unmittelbarer Nähe zum Nachbarboot, dennoch ohne Gefahr zu laufen in das Boot hinein zu treiben. Bei allem Schrecken gab uns diese Situation immerhin Zeit zum Nachdenken… In diesem Moment kam uns die Crew des zweiten Segelbootes zur Hilfe. Fünf Franzosen und wir, auf Französisch, ein paar Brocken Englisch und mit Händen und Füßen. Leinen, Leinenverlängerungen und Winschen…kurze Erklärungen, Kommandos und Aktion: langsam aber sicher zogen wir Augusta gegen die Strömung zurück an den Steg. „Es ist alles nur Physik“, sagte der Skipper mehr als einmal auf Französisch zu mir. Dabei strahlte er eine solche Ruhe aus, das auch mein Pulsschlag langsamer runter ging. Später erfuhr ich, dass er 60 Jahre Segelerfahrung hatte. „Gut, es gibt Hoffnung“, dachte ich bei mir, „mit der Erfahrung werde auch ich hoffentlich ruhiger werden…hoffentlich“. Eine halbe Stunde dauerte die Aktion und Augusta lag wieder fest vertäut am Steg, nur um 180 Grad gedreht. Wir waren fix und fertig, aber sowas von erleichtert, dass alles gut ausgegangen war, ohne Schäden, weder bei uns noch bei einem der anderen beiden Boote. Natürlich haben wir an diesem Abend nicht mehr abgelegt. Dafür aber zur Nervenberuhigung an Bord des französischen Schiffes einen Pastis getrunken.
Mit einbrechender Dunkelheit wurde es auf einmal ruhig. Ich schaute auf den Fluss. Er schien nicht mehr zu strömen. Na klar, die Tide war gekippt und der Fluss gekentert. Hier lag die Theorie des Sportküstenschifferscheins in Praxis vor mir. Wir hatten Niedrigwasser erreicht, langsam stieg das Wasser wieder. Die einlaufende Tide läuft entgegen der natürlichen Strömungsrichtung des Flusses. Im Mündungsbereich kann sie einen Fluss in seinem Fluss kurzzeitig stoppen oder sogar umkehren. Das ist so beeindruckend. „Ha“, wie hilfreich wäre es gewesen, wenn wir unser Ablegemanöver zu diesem Zeitpunkt gemacht hätten. Wir hätten einfach warten sollen. Ein zweiter Fehler war, dass wir Heckleine und Achterspring aus einer einzigen Leine gemacht hatten, anstatt zwei einzelne Leinen zu nutzen um sie unabhängig voneinander zu bedienen. Genügend Leinen haben wir doch. Daran lag es nicht. An diesem Abend gingen wir um ein paar Kenntnisse und Erfahrungen reicher schlafen. Noch zweimal sollte ich in dieser Nacht aufstehen und nach den Leinen schauen und ob die Strömung etwas mit uns macht. Alles prima. Wir lagen sicher.


Am nächsten Morgen legten wir zur richtigen Zeit und in aller Ruhe ab. Zwei weitere Nächte verbrachten wir mit drei anderen Segelbooten im kleinen Hafen, in direkter Nachbarschaft des berühmtem portugiesischen Krankenhausschiffes „Gil Eannes“. Heute ist sie nicht mehr im Einsatz, dafür aber ein sehenswertes Museumsschiff.
Drei Tage später verließen wir bei Sonnenaufgang Viana do Castelo in Richtung Povoa da Varzim. Der versprochene leichte Nordwest-Wind stellte sich leider nicht ein. Unter Motor fuhren wir bei fast spiegelglatter See nahe an der Küste entlang. Es wurde ein kleiner Hindernislauf. Fischerbojen, Fischerbojen und noch mehr Fischerbojen… Manche waren gut sichtbar, andere wiederum versetzten uns mehr als einmal in Schrecken. Fast hätten wir sie überfahren. Die Bojen selbst sind nicht das Problem, so klein wie sie sind, aber das, was nach unten hin an ihnen hängt schon: Fischernetze. Die möchte sich niemand in den Propeller einfahren. Und Ärger mit einem Fischer noch weniger, hahaha. Also konnte unser Autopilot für diese Strecke nicht zum Einsatz kommen. Eine von uns steuerte und die andere ging scharfen Ausguck.
Warum fahren wir eigentlich so nah an der Küste entlang? Klar ist es schön einen Blick auf Land zu werfen, auf Natur, Strände in Abwechslung mit urbanen Strukturen…wegen dem Sightseeing ist jedoch nicht. Weiter draußen wären auch keine Fischerbojen. Aber dort besteht die Möglichkeit auf Orcas zu treffen, denn an der portugiesischen Küste sind Orcas unterwegs. Es ist ihr natürlicher Lebensraum, sie verfolgen Thunfischschwärme. Nur ist es in den letzten Jahren zunehmend zu Begegnungen zwischen Orcas und Segelbooten gekommen. Eine solche Begegnung endete fast immer mit einer Beschädigung des Segelbootes, insbesondere am Ruder und damit mit Manövrierunfähigkeit oder in einigen Fällen leider auch mit dem Untergang des Bootes. Die Erfahrung zeigt: je näher ein Segelboot an der Küste, auf einer Tiefe von weniger als 20m entlang fährt desto kleiner die Wahrscheinlichkeit einer Begegnung mit Orcas. Wir halten uns an die offiziellen Empfehlungen. Und, auch wenn es anstrengend ist: lieber ein Slalom zwischen Fischerbojen.
Povoa da Varzim erreichten wir am frühen Nachmittag, zu Niedrigwasser. Laut Internetseite der portugiesischen Marine, sollte die Einfahrt für unser Boot mit einem Tiefgang von 1,40m kein Problem sein. Eigentlich… Wir durften jedoch die Erfahrung machen auf eine sich bewegende Sandbank zu treffen. Nur kurz, ganz kurz haben wir aufgesetzt. Es war deutlich zu spüren, wir wurden ausgebremst. Sofort war die Erinnerung an Lauwersoog in den Niederlanden wieder da, dort hatten wir auch kurz auf einer Sandbank gesessen. Alex hechtete mit langen Schritten zum Bug, Gewichtsverlagerung auf Bug, während ich schnell den Rückwärtsgang einlegte und Gas…nur nicht weiter auf die Sandbank, sondern schnell rückwärts wieder runter. Yeah. Nach einer langen Minute waren wir wieder in Bewegung. Kurze Zeit später legten wir am Empfangs-Ponton im Hafen von Povoa da Varzim an.
Wieder um  eine Erfahrung reicher. Innerer Merkzettel: Einfahrt in Häfen besser nicht zum Niedrigwasserpunkt, insbesondere nicht bei Voll- oder Neumond, denn da sind die Niedrigwasser besonders niedrig.
Fortsetzung folgt.