Da sich die selbstgebastelte belgische Gastlandflagge bereits nach zwei Tagen aufzulösen drohte…setzten wir kurz vor Dunkerque die französische. Mehr als einen Monat sollte sie uns unter der Steuerbordsaling begleiten, 417 Seemeilen bis L’Aber Vrac’h und dann weiter bis in die Biskaya hinein.
Dunkerque ist die nördlichste Stadt Frankreichs und aufgrund ihrer Lage für viele Segler der Ausgangspunkt für den Sprung in den Ärmelkanal. Wir blieben vier Tage, erkundeten die Stadt, flanierten an der breiten Strandpromenade entlang und trafen alte und neue Freunde wieder.
Über den Ärmelkanal hatten wir viel gehört, er flöste uns Respekt ein. Hatten wir bisher bei der Törnplanung bereits auf Gezeiten und Strömungen achten müssen, so sollte es von jetzt an grundlegend werden.
Wir entschieden Calais zu überspringen und gleich nach Boulogne sur mer zu segeln, denn was im Reeds über die Zufahrt zu Calais stand, war eher abschreckend: Schnellfähren, Frachtverkehr, Strömung und weitere Aspekte, auf die wir hätten besonders aufpassen müssen, ne ne, das war uns zu viel, lieber schnell dran vorbei. Schnell war es dann auch im wahrsten Sinne des Wortes, denn zur richtigen Zeit dort, sollte uns die Strömung mit 2,5kn im Rücken an diesem Hauptverkehrsknotenpunkt vorbeischieben. Danach konnten wir wieder etwas ruhiger atmen. Yeah, wir waren im Ärmelkanal. Nach 47sm erreichten wir gemeinsam mit unseren neuen Freunden unsere zweite französische Stadt.
Eigentlich sollte Boulogne sur mer nur ein kurzer Zwischenstopp werden. Leider wurden daraus 10 lange, wirklich lange Tage, die an unseren Nerven zehrten. Diese Stadt wollte uns nicht, aber sie wollte uns auch nicht loslassen…Als wir nach zwei Tagen weiterfahren wollten, sprang der Motor partout nicht an. Diesel hatten wir getankt, Ölstand überprüft, Dieselvorfilter gereinigt. Eine erste Fehlersuche deutete darauf hin, dass der Dieselfluss an irgendeiner Stelle unterbrochen zu sein schien. Unsere neu gewonnenen Freunde reisten ab, wir blieben…und versuchten mit Hilfe der Marina einen Motormechaniker aufzutreiben.
Motorprobleme hat jedes Segelboot, mal mehr, mal weniger. Wir wissen inzwischen, dass es nicht darauf ankommt zu hoffen, dass es nicht passiert, sondern vielmehr darauf zu hoffen, dass wenn es passiert, kompetente Motormechaniker vor Ort sind. In Boulogne sur mer war es zu diesem Zeitpunkt leider nicht so. Zwar fanden wir Menschen, die versucht haben uns im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu helfen, aber sie hatten weder die nötigen Kenntnisse noch Erfahrungen mit Motoren von Segelyachten. Wir bemerkten es sofort. Die Fehlersuche glich einem unsystematischem „trial and error“, oh je und danach kam irgendein „leaning by doing“…“aber doch nicht mit und an unserem Motor“, dachte ich… Stopp! Alex sprang ein. Der junge Mechaniker schien sogar dankbar zu sein, denn er bewegte sich auf einem ihm unbekannten Terrain. Mit Hilfe einer Übersetzungsapp erfuhren wir, dass er eigentlich Mechaniker für große Generatoren ist. Doch inzwischen war unsere bis dato gut funktionierende Dieselpumpe kaputt. Eine neue musste her…4 Tage warten. Wir versuchten das Beste daraus zu machen, besuchten den Fischmarkt und kochten uns eine Paella, fanden ein Frühstückscafe, wo wir die Tage beginnen ließen und lernten ein holländisches Päärchen kennen, das, wie wir in Boulogne sur mer blieb, nur mit dem Unterschied, dass sie es freiwillig taten. Sie verbrachten viel Zeit auf ihrem Boot im Hafen, saßen da, tranken Kaffee oder Bier, lasen, unterhielten sich und immer, wenn es neues Boot am Steg ankam, stand er bereit um die Leinen anzunehmen. Auch unsere Leinen hatte er angenommen. Mit der Zeit kamen wir ins Gespräch. Sie hatten aufmunternde Worte für uns, gleichzeitig strahlten sie eine Ruhe und Zufriedenheit mit sich selbst aus, was mich, die ich mich gehetzt, immer zwischen Hoffen und Bangen, fühlte, magisch anzog. Später mehr dazu…
Zurück zum Motor. Die neue Dieselpumpe kam natürlich erst nach 5 Tagen. Inzwischen hatten wir, welch Glück, einen der Besitzer einer großen Brigg kennengelernt, die im Hafen festgemacht hatte. Er war von Beruf Motormechaniker von Frachtschiffen und gab uns, oder besser gesagt Alex, ein paar wichtige Tipps. So konnte Alex die weiteren Arbeiten an unserem Motor noch besser überwachen.. ähm, anleiten. Alex hat in dieser Zeit viel über unseren Motor gelernt. Und ich weiß: am Ende dieser Reise habe ich eine ausgebildete, erfahrene Motormechanikerin an Bord, yeah.
Sobald der Motor wieder funktionierte – leider nicht zu 100%, denn wir verloren etwas Diesel und der Ausschaltbaudenzug klemmte – flohen wir am frühen Morgen, noch im Dunkeln aus der Stadt. Der Wind bließ mal wieder von vorn, die Welle war über 2m hoch und ich wurde seekrank. Die Pütz war gerade nicht griffbereit, also, ab nach Lee. Bei einer dieser Aktionen blieb ich mit meiner Rettungsweste in der Seereling hängen…pfffump…erst ein pfeifendes Geräusch, danach fühlte ich mich eingeengt…oh nein, ich hatte meine Rettungsweste ausgelöst, das durfte doch nicht war sein. Aber alles besser als umzukehren und länger zu bleiben, hahaha. Und immerhin kann ich nun behaupten, dass meine Rettungsweste funktioniert.
Nach Boulogne sur mer wurde es wirklich besser, wir versöhnten uns mit Frankreich, erlebten schöne Städte und genossen das gute Essen. Und natürlich das französiches Brot und die Patisserie. In jeder Stadt hielt ich Ausschau nach Bäckereien…sie wurden zu meinen Lieblingsläden, wo ich auch gern mal mein doch sehr eingerostetes Französisch ausprobierte.
Es folgten Dieppe, mit einer schönen, belebten Altstadt und diesem wunderbaren Blick vom Chateau de Dieppe über die Stadt und das Meer. Le Havre, die Stadt der Architekten. Hier haben wir auf einem Festival des Meeres die französischen Seenotretter kennen gelernt und mit dem Kauf eines T-Shirts unterstützt. Und St Vaast La Hongue, unser erster tidenabhängiger Hafen auf dieser Reise.
Nur zu bestimmten Zeiten kann er angelaufen werden, 2 Stunden vor bis zwei Stunden nach Hochwasser stehen die Türen offen. Danach sind sie fest verschlossen, der Hafen behält seinen Wasserstand, während rings herum die Zuwegung komplett trocken fällt. Das muss man gesehen haben. Staunend standen wir da und machen Vorher und Nachher-Bilder. Zur Niedrigwasserzeit werden die Austernfarmen sichtbar und es wird geerntet. St Vaast steht auf unserer Liste der Orte, wo wir so gerne länger geblieben wären, aber wegen eines gutem Wetterfenster schnell wieder verlassen mussten. Wie schade. Manchmal fragten wir uns, ob wir nicht einfach hätten bleiben sollen, aber der Blick in den Kalender und der Gedanke an die Biskaya trieben uns mal wieder weiter.
Stolz erreichten wir Cherbourg, waren wir doch ein gutes Stück im Ärmelkanal vorangekommen. Auf dem Weg dorthin passierten wir das Raz de Barfleur. Die Meeresströmung an dieser engen Stelle war heftig. Obwohl bei moderatem Wind und wenig Welle, wurden wir kurzzeitig ordentlich durchgewirbelt, Wellen kamen von verschiedenen Seiten und drückten uns mal hier und mal dorthin. Aber wir haben auch unsere ersten Delfine gesehen, sie begleiteten uns ein gutes Stück und wir waren völlig aus dem Häuschen, kannten wir das doch bisher nur von Erzählungen.
In Cherbourg aßen wir die besten Galettes, bewunderten die Regenschirme im Museum und bereiteten uns, dank wertvoller Tipps unserer englischen Bootsnachbarn, gut auf das bevorstehende Race of Alderney vor, auf französisch Raz Blanchard (weiße Flut), da das Wasser weiß ist, wenn es aufgewühlt ist. Und nicht zu vergessen: wir fanden einen kompetenter Motormechaniker, juhu. Er kam, sah, hörte, wußte was er tat und schwup, nach einer Stunde was alles in bester Ordnung und wir unglaublich dankbar.
Viele Segelboote laufen von Cherbourg aus die Kanalinseln an. Auch wir hatten uns vorgenommen nach Guernsey zu segeln.
Wir warteten auf ein geeignetes Wetterfenster. Gut für uns, Nippzeit stand bevor. Nippzeit bedeutet niedrige Hochwasser und hohe Niedrigwasser. Damit ist der Hub zwischen Hoch- und Niedrigwasser weniger groß als zur Springzeit, ergo auch die Strömung fällt weniger stark aus. Und genau das ist der springende Punkt. Im Alderney Race kann es zu Strömungen von über 5kn kommen. Bei Augustas Durchschnittsgeschwindigkeit von 4,5 bis 5kn würden wir keine Chance haben. Bei ungünstiger Wind-gegen Strömung-Konstellation kann aber auch eine Strömung im Rücken ungemütlich werden.
An einem windstillen Tag machten wir uns auf den Weg. Unsere englischen Bootsnachbarn wünschten uns alles Gute und schenkten uns noch eine ihrer Dekolampen, die wir so bewundert hatten. Natürlich mussten wir motoren. Da die See fast spiegelglatt war, gab es auch keine Chance seekrank zu werden. Das Einzige, was uns etwas unwohl hat fühlen lassen, war die teilweise sehr schlechte Sicht, es war diesig, klarte etwas auf um gleich darauf wieder diesig zu werden. Da wir erst um die Mittagszeit haben Cherbourg verlassen können um die Strömung mit uns zu haben, erreichten wir Guernsey kurz nach Einbruch der Dunkelheit. Ein kleines Motorboot kam im Vorhafen auf uns zu…kurze Ansagen: „Folgen, Warteponton, Backbord festmachen, Formulare ausfüllen“…flupp, ein Päckchen mit Papieren flog zu uns an Bord. Am Warteponton machten wir, neben vielen anderen wartenden Booten, für die Nacht fest, füllten die Formulare aus und fielen müde ins Bett. Der Hafen von Guernsey öffnet nur zu bestimmten Zeiten seine Türen. Am nächsten Morgen, bei Sonnenaufgang, beschlich uns beide das gleiche Gefühl: „Guernsey kann warten, ein anderes Mal, lass uns weiter fahren“. Über Funk meldeten wir uns ab, wir wussten ja nicht, ob wir gegen die Einreisebestimmungen verstoßen, wenn wir einfach klammheimlich abhauen. Gleich darauf legten wir ab, mit Ziel Roscoff, in der Bretagne. Die französische Gastlandflagge hing immernoch unter der Steuerbordsaling. 73sm und 15 Stunden Fahrt lagen vor uns. Wieder waren wir gefühlt allein unterwegs, kein anderes Schiff in Sichtweite. Wieder spiegelglatte See, wieder motoren. Keine Seekrankheit, juhuu, ein weiterer Tag, an dem ich normal und ausreichend essen konnte. Zwieback mochte ich bereits nicht mehr sehen, geschweige denn essen. Schade nur, dass wir wieder nicht segeln konnten. Der Autopilot wurde eingesetzt und wir nutzten die langen Stunden um über die bisherige Reise zu reflektieren. Seit unserer Abfahrt von Rostock waren wir auf den Tag genau 2 Monate unterwegs, hatten inklusive Dänemark und den Kanalinseln bereits 6 Länder bereist, sind in 25 Städten und Häfen gewesen, hatten 6 Motormechaniker an Bord und mindestens 45 Brote gekauft.
Roscoff erreichten wir erst bei Dunkelheit, die Tage wurden langsam wieder kürzer. Glücklicherweise: 1. war die Hafenzufahrt durch ein hellerleuchtetes Kreuzfahrtschiff bereits von Weitem gut zu sehen, 2. erwischten wir den letzten freien Liegeplatz am Steg und 3. erwartete uns dort bereits zum Leinen annehmen die Crew eines Segelbootes, die wir in Dieppe kennengelernt und in Cherbourg wieder getroffen hatten. Im Hafen von Roscoff sollte das ganze Wochenende viel los sein, denn die berühmte Regatta „La Solitaire du Figaro“ machte hier Station. Wir sahen Susan Beucke und ihr Boot „This race is female“. Wow.
Roscoff fand einen Platz auf unserer Liste der Orte, wo wir unbedingt noch einmal hin wollen.
Noch bevor die Regatta den Hafen verlassen sollte, machten wir uns um 4 Uhr morgens auf den Weg und erreichten nach 6 Stunden Motorfahrt (es gab wieder keinen Wind) die kleine Stadt L’Aber Vrac’h.
Die Zufahrt zum Hafen führte uns durch Felsformationen, die sowohl beeindruckend als auch etwas beängstigend waren. Hier musste man sich auf jeden Fall innerhalb des Tonnenstrich halten, insbesondere bei Niedrigwasser. In L’Aber Vrac’h wollten wir ein paar Tage ausruhen.
Wir waren fast am Ende des Ärmelkanals angelangt und die große Biskaya lag mehr oder weniger direkt vor uns. Das dieses kleine Örtchen für uns zum Ausgangspunkt der direkten Überquerung der Biskaya werden sollte, entschied sich zwei Tage später…