75 Jahre – Vereinsleben von 1990 bis 1996

Die Zeit der Wende, November 1989, Freude, Hoffnung, Staunen. Neues stellte sich ein und mußte von Jedem erst einmal verkraftet werden. Unter 40 Jahre DDR-Politik konnte jetzt ein Strich gezogen werden. Nach anfänglicher Euphorie und neuer immenser Motivation kamen dann auch schon bald die Fragen: Was nun, wie geht’s weiter, wie wird Unrecht wieder zu Recht, was kann man tun, wie löst man die persönlichen Probleme im Beruf, in der Familie, was wird mit dem Verein? Tausend Fragen, die auch und vor allem auf den im September 1989 neu gewählten Vorsitzenden des Vereins, Jörg Lehmann, zukamen. Als „gelernter DDR-Bürger“ mußte man sich erst einmal in Neuem üben. Hier standen uns dann auch bald nach der Wende unsere alten Mitglieder, die fast 30 Jahre durch die Mauer getrennt von uns in Westberlin oder Westdeutschland lebten, mit ihrer Erfahrung zur Seite. Mit Rat und Tat, vor allem mit materiellen Mitteln erhielt der Verein von ihnen nicht unerhebliche Förderung.

Die vordringlichste Aufgabe des Vorstands war, die rechtliche Lage des Vereins zu klären. Das Amtsgericht Charlottenburg ließ uns wissen, daß für einen WSV 1921 eine Eintragung im Vereinsregister und eine gültige Satzung von 1940 vorliege. Mitglied dieses Vereins konnten nur diejenigen Mitglieder sein, die nach dieser Satzung in den WSV 1921 eingetreten waren. Die Sportfreunde Bruno Stöfhase, Jahrgang 1905, Eintritt 1930 und Otto Günther, Jahrgang 1904, Eintritt 1930, waren die einzigen noch Lebenden des alten WSV 1921. Nur sie allein waren berechtigt, einen Antrag auf Bestellung eines Notvorstandes zu stellen, der dann nach geltendem Vereinsrecht neue Mitglieder in den Verein aufnehmen und Versammlungen abhalten konnte. Bedingung war allerdings dabei noch der Nachweis, daß der letzte Vorsitzende aus der Zeit der Satzung von 1940, Herbert Lemke, verstorben war.

Die Aufnahme aller Mitglieder der ehemaligen Sektion Segeln der SG Grün-Weiß (154 Senioren und 25 Junioren) in den WSV 1921 erfolgte am 24.2.1991. Mit diesen „neuen“ Mitgliedern wurde eine neue Satzung beschlossen und ein neuer Vorstand mit Jörg Lehmann an der Spitze gewählt. Bevor die neue Satzung am 23.3.1992 in das Vereinsregister beim Amtsgericht Charlottenburg eingetragen und damit rechtswirksam wurde, mußte der Vorstand nach Hinweisen und Empfehlungen von Amtsgericht und Notar einige Korrekturen vornehmen und von den Mitgliedern bestätigen lassen. Ein sehr kompliziertes und aufwendiges Verfahren, aber wohl unerläßlich für die weitere Klärung der Grundstücks- und Eigentumsverhältnisse des WSV 1921. Letztgenanntes Problem ist allerdings bis zum Abschluß der vorliegenden Chronik ungeklärt.

Da für eine Vielzahl von Vereinen im Ostteil Berlins analoge Verhältnisse vorliegen, bildete sich eine Interessengemeinschaft, der sich der WSV als Mitglied anschloß. Ansprüche auf die Grundstücke stellt der Senat von Berlin, der nach seiner Meinung die Rechtsgrundlage dafür aus dem Einigungsvertrag vom 1990 entnimmt. Ein Musterprozeß, der Mitte 1995 geführt wurde, beweist allerdings das Gegenteil. Das Urteil wurde zugunsten des klagenden Vereins gesprochen. Ein Berufungsverfahren, eingeleitet durch den Senat, steht noch aus. Mit dem Bäderamt Berlin-Köpenick (Verwaltungsstelle des Senats) als Nachfolgeeinrichtung der Bootshausverwaltung aus DDR-Zeiten wurden entsprechende Vereinbarungen über Pflege, Instandhaltung, Reparaturen usw. getroffen. Im Juni 1991 wurde eine ABM-Stelle (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme) für die Wartung und Pflege unseres Sportobjektes freigegeben. Diese Stelle wurde bis Juli 1993 bewilligt. Gleichzeitig war damit auch unsere Kantine bis zu diesem Zeitpunkt bewirtschaftet. Entscheidend für die weitere Arbeit war am 21.5.1993 der Abschluß eines Nutzungsvertrages für 10 Jahre. Der Verein übernahm sämtliche Kosten für Unterhaltung und Bewirtschaftung. Damit war die Basis gegeben für die Beantragung von Fördergeldern, die dringend für die Rekonstruktion des Vereinshauses und der Toiletteneinrichtungen benötigt wurden.

Die Kantine, eigentlich immer ein Treffpunkt zum Snack und Klönen bei Bier und sonstigen Getränken, litt unter den für viele doch etwas unsicheren Verhältnissen in den ersten Jahren nach der Wende sowie auch der ab 1993 bis 1995 provisorisch geführten Selbstbewirtschaftung, obwohl sich die Verantwortlichen immer sehr viel Mühe gaben. Durch die Bewilligung von Fördermitteln des Senats war es dem Verein möglich, die Sanitäreinrichtungen und die Kantine im Jahre 1995 vollständig umzubauen und neu zu gestalten.

Im Sport war nach der Wende natürlich wie überall vieles neu strukturiert. Zunächst bestand ja bis Oktober 1990 die DDR noch als Staat. BDS (Bund Deutscher Segler) und BFA (Bezirksfachausschuß) bemühten sich um Organisation des Sportbetriebes. Zur Saison 1990 gab es dann auch eine neue Satzung des BDS. Darüber hinaus trat auch eine neue Sportbootordnung zu diesem Zeitpunkt in Kraft. Die endgültige Wiedervereinigung Deutschlands am 3.Oktober 1990 änderte natürlich auch die bis dahin aufgebaute Struktur des Sports. Die beiden Deutschen Seglerverbände DSV und BDS vereinigten sich zum Seglertrag im Oktober 1991, der WSV 1921 wurde Mitglied im DSV (Deutscher Seglerverband) sowie auch im BSV (Berliner Seglerverband). Die Bootsklassen organisierten sich zu dieser Zeit ebenso zu gesamtdeutschen Klassenvereinigungen. Vor allem war aber nun auch für jeden Segler jedes Revier offen, die Teilnahme an nationalen oder auch internationalen Regatten war für jedermann gewährleistet. Eine Möglichkeit, auf die wir Segler zu DDR-Zeiten im Verein immer vergeblich gehofft hatten. Die Freiheit, überall segeln zu können, wurde zwar kurz nach der Wende von vielen Seglern, u.a. durch die großzügige Unterstützung von vielen Veranstaltern aus den alten Bundesländern redlich genutzt, aber schon bald ließ das Interesse am Regattasegeln wegen vieler persönlicher Probleme stark nach. Und das nicht nur an Regatten außerhalb Berlins, sondern sogar bei den Regatten unmittelbar vor unserer Haustür. Erst zur Saison 1994 konnte man wieder merklich gewachsene Regattafelder registrieren. Aus vielerlei Gründen ist jedoch die Spitzenposition im Regattasegeln aus den 70er und 80er Jahren, bisher jedenfalls, vom Verein noch nicht wieder erreicht worden. Der Beschluß vom Mai 1988, aus Traditionsgründen im Verein nur Jollen zuzulassen, wurde im September 1991 durch eine neue Hafenordnung geändert. Danach waren im Verein Kielboote zugelassen, was sich dann, wie aus der Boots-Statistik 1994 zu erkennen, in der Praxis auch bald umsetzte (siehe Abschnitt segelsportliche Veranstaltungen und Aktivitäten), Zugleich stieg auch wieder das Interesse am Segelsport allgemein, aber auch am Regattasegeln.

Eine sehr erfreuliche Entwicklung nahm in den letzten Jahren der Kinder- und Jugendsportbereich. Persönliches Engagement bei der Gestaltung des Trainings zu Wasser und zu Lande sowie bei gemeinsamen Veranstaltungen ließ bei den Kindern und Jugendlichen Freude und Spaß am Segelsport erkennen. Hoffnung auf zum Verein stehenden Nachwuchs kann aufkommen. Wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung hat dabei Gerhard Gaerisch alias „Egon“. Arbeitsleistungen für den Verein gehören nach wie vor zur Pflicht eines jeden Mitgliedes. Hohe Anforderungen waren gestellt; die Genehmigung von Fördermitteln bedingte auch materielle und finanzielle Eigenleistungen des Vereins in Höhe von 91.000 DM. Einsatz von Organisatoren für eine effektive Arbeitsleistung war gefragt. Zum Saisonbeginn 1994 wurde ein obligatorischer Arbeitsdienst für alle Frauen des Vereins, auch für die, die mit ihren männlichen Partnern Kojen des Vereins ständig nutzen, ohne Mitglied des Vereins zu sein, eingeführt.

Ein Großteil der Aufgaben des Arbeitsdienstes wiederholt sich im wesentlichen jährlich. So sind z.B. die Reparatur- und Lackierarbeiten der Jugendboote eine permanente Aufgabe im Frühjahr. Vorbereitungs- und Aufräumungsarbeiten zu den Veranstaltungen, Gartenarbeit, Frühjahrsputz oder Reparaturen an den technischen Einrichtungen mit allen Gewerken, sind Aufgaben, die vom technischen Bereich des Vereins zu erfüllen sind. Insgesamt werden jährlich 4 bis 5.000 Arbeitsstunden absolviert. Dazu kommen noch Sonderleistungen, die bei Rekonstruktionsmaßnahmen, z.B. beim Toiletten- und Kantinenumbau erforderlich waren und sind.

Im technischen Bereich war über Jahrzehnte lang einer immer besonders dominant, Willy Thomas. Mit Rat und Tat stand er dem Verein stets zur Seite. Veranstaltungen, wie An- und Absegeln – teilweise in Verantwortung für das gesamte Revier –, wie Frühkonzert zu Pfingsten, Sommerfest für alt und jung, Jubilarfeier, Wandertag in die Berliner Umgebung im Spätherbst – eine Neuerung im Veranstaltungskalender seit 1991 – Kinderweihnachtsfest und Silvesterfeier, gehören nach wie vor zum Standardprogramm des Vereins.

Die Mitgliederzahl hat sich in all den Jahren nach 1945 relativ stabil gehalten. Eine Statistik der Jahre 1993/1994 zeigt die Anzahl und die Zusammensetzung der Jahrgänge. Im Schnitt hat sich die Mitgliederzahl bei etwa 200 gehalten, sicherlich in den nächsten Jahren noch steigerungsfähig, vielleicht auch notwendig.