Nordsee again … von den Niederlanden nach Belgien

Bei Sonnenaufgang verließen wir den Sixhafen in Amsterdam. Die Motorfahrt führte uns 3 Stunden lang, gemeinsam mit Frachtern und Schubschiffen, über den Nordzeekanaal durch eine Schleuse bis nach Ijmuiden. Von dort aus sollte es direkt wieder auf die Nordsee gehen. Wir waren aufgeregt, aber auch voller Vorfreude. Segeln wollten wir…vorankommen an der niederländischen Küste. Ijmuiden ist ein Absprungshafen für die Nordsee. Umgeben von Industrieanlagen lädt er nicht zum längeren Verweilen ein. Das wollten wir auch nicht, wir warteten nur auf ein günstiges Windfenster, hahaha…wir warteten… ein Tag, zwei Tage…Westwind! Mal wieder. Die nächsten Tage sollte sich das auch nicht ändern.

Egal, wir wollten nach Scheveningen, Den Haag. Dort sollten zu dieser Zeit die Allianz Sailing World Championships stattfinden. Aufregend. Aber, das bedeutete auch, dass der sowieso fürs Päckchen-Liegen bekannte kleine enge Sportboothafen von Scheveningen noch vollgepackter sein würde.

Am Morgen ging es los. Hoch am Wind kamen wir gut voran, als plötzlich am Horizont Segelboote auftauchten, viele Segelboote, gleicher Größe, gleichen Typs. Wir waren sogleich auf auf eine Wettfahrt der Allianz World Championships getroffen. Eine gute Weile fuhren wir parallel, aber mit gehörigem Abstand, zur Regatta, bis wie aus dem Nichts ein Schlauchboot mit hoher Geschwindigkeit auf uns zuraste. Es gehörte zur Wettfahrtleitung. Wild gestikulierend machte uns eine Frau deutlich, dass wir hier nicht sein dürften…“World Championships“…“Wettfahrt“…“Sperrgebiet“…“raus hier“…“zurückfahren“…“außen rum“… Während sie uns diese Worte auf Englisch zuwirft, spricht sie gleichzeitig über Funk. Huch, wir waren mehr als überrascht, hatte uns doch niemand auf dieses Sperrgebiet hingewiesen, weder in Ijmuiden, noch bei meinem Telefonat mit der Marina in Scheveningen. Nach einigem Hin und Her wurden wir aufgefordert uns Backbord zu halten, so weit wie nur möglich unter Land zu gehen. Glücklicherweise waren wir bereits in der Nähe von Scheveningen und damit einem großen Umweg entkommen.
Wie erwartet war der Hafen bereits gut gefüllt. Wir machten an der einzigen freien Längspier fest und planten sofort den Landgang. Rings um den Hafen herum herrschte reges Treiben, da sollte doch etwas leckeres zu essen zu finden sein. UND…der „Reeds“ musste her, der „Nautical Almanach“ für das Segeln im Gezeitenrevier, von Dänemark bis Gibraltar. Von vielen Seiten war er uns empfohlen worden. Gezeitentabellen, Strömungskarten, Revier- und Hafeninformationen, Passagehinweise, regionale Besonderheiten für jedes Land, alles vereint in einem über 1000 Seiten umfassenden Buch. „Was für ein Wälzer“, dachte ich im ersten Moment, und auch noch auf Englisch…aber, da musste ich durch. Im Laufe der weiteren Reise haben wir uns angefreundet und bis heute schätze ich ihn sein sehr. Bei jeder Törnplanung greife ich zum Reeds, verschaffe mir einen Überblick über die Passage, lese die Hafeninformationen, studiere die Gezeitentabellen. Parallel dazu informiere ich mich im jeweiligen Hafenbüro, denn in den meisten Fällen geben sie dir Erfahrungswerte und Empfehlungen für die Abfahrtszeiten rund um den Hochwasserpunkt. Oft ist es ein oder zwei Stunden nach Hochwasser, manchmal aber auch eine Stunde vorher, je nachdem wo es hin gehen soll und welche regionalen Ausprägungen die Strömung in Stärkte und Richtung hat.

Nach zwei Tagen verließen wir Scheveningen wieder. Natürlich hätten wir hier noch bleiben können, gefallen hat es uns und wir hatten noch lange nicht alles erkundet. Auch mit unseren israelischen Nachbarn, die im Päckchen-Modus an unserer Backbordseite festgemacht und uns am Abend mit einem leckeren Pasta-Menü bekocht hatten, hätten wir gut und gern noch etwas Zeit verbringen können. ABER…das gute Wetterfenster und die Biskaya, die zwar noch in weiter Ferne lag, aber bis Mitte September durchquert werden wollte, trieben uns weiter… Am letzten Abend erlebten wir noch einen Schrecken. Beim Ablegen verlor ein Segler durch eine einfallende Böe die Kontrolle über seine Yacht und krachte innerhalb von Sekunden in zwei Boote, streifte ein drittes und hätte um ein Haar auch Augusta erwischt…es ging alles so schnell. Im Nachhinein wurde uns klar: 1. welch großes Glück wir gehabt haben und 2. das so ein Unglück jedem passieren könnte. Hafenmanöver sind immer aufregende Momente, niemals gleich und beeinflusst von vielen verschiedenen Faktoren und derem Zusammenspiel. Fragst du Segler und Seglerinnen nach den schwierigsten oder anstrengendsten Situationen ihrer Reisen, geben sooo viele die gleiche Antwort: „Hafenmanöver“. Jaaa, ich unterschreibe das. Bis heute stehe ich in diesen Momenten unter großer Anspannung und bin jedes Mal froh, wenn alles geklappt hat.
Von Scheveningen ging für uns es nach Breskens. Ein Umweg, wie sich herausstellen sollte, der eigentlich nicht nötig gewesen wäre, denn Breskens hat uns nicht überzeugt. Der Weg führte vorbei an einer Küste riesiger langgezogener Industrieanlagen…wir näherten uns Rotterdam. An Land spuckten dicke Schornsteine Rauch in die Luft, auf dem Wasser verdichtete sich der Verkehr, Frachtschiffe unterschiedlichster Größen. Hier war wieder gehöriger Ausguck gefragt. Nachdem wir Rotterdam geschafft hatten wurde es schlagartig ruhiger, aber der Wind blies uns direkt auf die Nase und die Welle nahm zu. Um vor Einbruch der Dunkelheit in Breskens anzukommen, mussten wir den Motor einsetzen. Eine lange Fahrt ohne weiteres Segelvergnügen. Wir gönnten uns einen Tag Pause, füllten die Vorräte auf, bastelten uns aus einer alten deutschen Flagge eine belgische Gastlandflagge und machten uns auf nach Oostende.

Unser erster und einziger Hafen in Belgien. Klein, eng, sehr belebt und das erste Mal Festmachen an einer Mouringboje. Uuuiii, wie aufregend. Zum Glück half uns der freundliche Hafenmeister. Hier in Oostende sollten wir auch das erste Mal einen größeren Tidenhub erleben. Fühlten wir uns bei der Ankunft im Hafen zur Mittagszeit wie in einer tiefen Schlucht, so lagen wir am frühen Abend auf Augenhöhe zur Ladenzeile rund um den Hafen. Seit Cuxhaven bin ich jedes Mal wieder fasziniert von den Schwimmsteg-Hafenanlagen in Gezeitenrevieren. Wie entspannt man so den Tidenhub und Tidenfall mitmacht, hatte ich doch vorher, in voller Unwissenheit gedacht, man müsse die ganze Zeit wachsam sein und die Leinen fieren beziehungsweise dichtholen, wie in einer Schleuse, hahaha…das wäre der pure Stress gewesen.

Oostende wäre wieder ein Ort für uns zum Verweilen gewesen. Nach einem langen Spaziergang auf der breiten Strandpromenade, badeten wir ausgiebig in der Nordsee. Am Abend beobachteten wir an einem eigens dafür abgestecktem Gebiet Seehunde beim Spiel im Wasser, bevor wir uns den Reeds schnappten, einen Blick in die Seekarte warfen und mit Navionics unsere nächste Route planten. Frankreich lag vor uns und damit langsam aber sicher auch der Ärmelkanal…

Mit Schräglage gehts weiter …

Jana + Alex