Biskaya – Biskaaaaayaaaa

Nach der Küste kommt die Hochsee. Nach dem Ärmelkanal kommt die Biskaya, die nächste große Herausforderung für Segler auf dem Weg in Richtung Süden.

Bisher gab es auf unserer Reise zwei Momente, wo wir zwischenzeitig kein Land mehr gesehen haben. Auf der Ostsee, auf dem Weg von Hesnaes nach Warnemünde und im Ärmelkanal, zwischen Guernsey und Roscoff. Das waren jeweils höchstens ein paar Stunden, doch für uns schon aufregend genug. Wasser, Wasser und nochmals Wasser und in weiter Ferne der Horizont. Bei moderatem Wind, leichter Welle und dazu noch Sonnenschein kann das herrlich sein. Auf der Ostsee rauschten wir mit 5kn unter Segeln dahin. So stellten wir uns das Fahrtensegeln vor. Zwischen Guernsey und Roscoff sahen wir gefühlt fast über die gesamte Strecke hin kein Land. Bei spiegelglatter See war es erst so diesig, dass das nahe Land hinter einem Schleier verschwand. Als es aufklarte war kein Land mehr zu sehen. 

Nun waren wir der Querung der Biskaya so nahe. Tagelang ohne Zwischenhalt unterwegs sein, tagelang kein Land sehen, tagelang nur Wasser. Die Biskaya war und ist der Marker unserer bisherigen Reise. Immer hatten wir sie im Bick. Es wird gesagt, die beste Zeit im Jahr für die Querung sei zwischen Mai und Mitte bis Ende September. Generell kann man aber jederzeit auf jedes Wetter treffen, von Windstille und absoluter Flaute bis hin zu orkanartigem Sturm und hohen, sehr hohen Wellen.
In L Aber Wrac h lernten wir einen französischen Segler kennen, der bereits viermal die Biskaya überquert hatte und uns gern von seinen Erfahrungen berichtete. Wir stellten viele Fragen und sogen die Informationen auf wie ein Schwamm, insbesondere der Umgang mit dem Thema Wetter, Wettervoraussagen und Wetteränderungen interessierte uns.
Wir waren immer noch nicht wirklich entschieden, ob wir die Biskaya direkt am äußersten Punkt queren sollten, von Brest oder Camaret sur mer aus bis nach A Coruna oder alternativ bis Gijon. Eine Strecke, die viele Segler nehmen, wenn sich ein geeignetes Wetterfenster von 3-4 Tagen bietet. Oder weiter in die Bucht hineinfahren, an der Küste entlang um dann den Absprung für eine kürzere Strecke der Querung zu wählen. Möglichkeiten gab es verschiedene.


Warten auf Wetterfenster in L Aber Wrac h

Am Morgen des 11. September weckte mich Alex mit der Nachricht: „Wir haben ein Wetterfenster für die Biskaya.“ „Wann?“, wollte ich wissen. „Wir müssen morgen los, dann haben wir vier Tage.“ „Waaas?“, dachte ich für ein paar Sekunden. Dann schaltete sich der Modus „Sind wir vorbereitet? Was müssen wir noch vorbereiten?“ ein: Diesel tanken, auch die Kanister voll machen. Motor durchchecken. Wassertank füllen und alle verfügbaren Flaschen. Proviant einkaufen. Alle elektronischen Geräte noch einmal aufladen. Augusta seeklar machen…und immer wieder: das Wetter checken. „Ok“, dachte ich, „all das ist, wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, innerhalb eines Tages gut zu schaffen“. Nun ja, natürlich passiert immer etwas Unvorhergesehenes. Irgendwie und irgendwann mussten wir uns ein kleines Seil in den Propeller eingefahren haben. Bei klarem Wasser, im Hafen von L Aber Wrac h wurde es sichtbar. Ein Tauchgang wurde nötig, das war Alex Job. Mit Shorty, Flossen, Taucherbrille und Schnorchel bekleidet ging es ins Wasser und hinab zum Propeller. Das Seil war schnell entfernt. Der Propeller schien in Ordnung zu sein, aber, oh weh…wir hatten keine Anode mehr. „Mist.“ So fing es damals auf der Ostsee auch an, zuerst hatten wir keine Anode mehr und dann keinen Propeller. Wir brauchten unbedingt eine Anode, sonst könnten wir nicht losfahren.

Wir erzählten unserem französischem Nachbarn von: 1. unserem Problem und 2. unserem Vorhaben. Er half uns bei beiden. Wir erfuhren wo es einen Bootsbedarfsladen gab und er organisierte uns einen Taucher. Am Nachmittag saß die neue Anode an Ort und Stelle. Juhu! Am Abend schauten er sich mit uns gemeinsam die Wetterprognosen an und unterstützte uns bei der Routenplanung. Ach, wie toll, waren wir doch sehr aufgeregt und wussten, dass wir auf dem Weg in die Biskaya hinein noch Engstellen mit starken Strömungen, ähnlich dem Race of Alderney zu bewältigen hatten. Hier war wieder genaues Timing bei der Routenplanung von Nöten. Er machte und den Vorschlag an der Ile D oussant vorbei zu segeln. 

Als wir am nächsten Tag kurz nach Mittag in L Aber Wrac h aufbrachen, bließ uns der Wind wieder einmal auf die Nase. Mit einem Stück Großsegel als Stützsegel und unter Motor bewegten wir uns durch die Welle, schaukelnd, in Richtung Ile D oussant. Wir hatten ein Zeitfenster einzuhalten. Wären wir nicht zur richtigen Zeit bei der Insel gewesen, hätten wir sie nicht passieren können. Man glaubt so etwas erst, wenn man es hautnah erlebt. 5sm vor der Insel konnten wir die Segel komplett setzen. Welch ein Unterschied, die Welle unter Segel zu nehmen. Augusta ist ein Segelboot! Je näher wir der Insel kamen, desto mehr spürten wir die Strömung, wir wurden immer schneller, erst 5kn, später dann 6kn Fahrt durchs Wasser. Aber, Fahrt über Grund machten wir da schon 7kn. Wir sahen das aufgewühlte Wasser vor uns, da mussten wir durch. 8kn, 9kn Fahrt über Grund…und dann 12kn, wir glaubten unseren Augen nicht. 10 Minuten schossen wir so dahin, bis es auf einmal ungemütlich wurde. Augusta schaukelte von einer Seite zu anderen, Wellen kamen aus unterschiedlichen Richtungen.


Wind und Welle

Wie sollten wir die jetzt absurfen? Jetzt verstanden wir, was damit gemeint ist, wenn gesagt wird: „man fühle sich wie in einem Kochtopf“. Wir hatten den Moment erreicht, wo die Strömung anfing gegen uns zu laufen, Wind und Welle hatten wir jedoch im Rücken. Glücklicherweise waren wir fast aus der Engstelle raus, der Spuk dauerte nur ein paar Minuten. Danach wurde es ruhiger, eine hohe, aber langgezogene Welle trug uns weiter. Wir hatten die Biskaya erreicht, bei Sonnenuntergang. Unsere erste Nacht begann. Der Wind wurde weniger und schlief bald komplett ein. Wir nahmen die Segel runter und ließen „Seiko“, unseren elektrischen Autopiloten steuern.

Normalerweise schlafen wir in der Vorschiffskoje. Für die Biskaya strukturierten wir um. In den nächsten 3,5 Tagen und Nächten sollte nur noch abwechselnd geschlafen werden können. Wir richteten eine Seitenkoje her und warfen alles „Unnütze“ in die Vorschiffskoje. Die erste Nacht wollten wir gemeinsam wach bleiben und tagsüber abwechselnd schlafen. Geschafft haben wir das so nicht, wir sind dann doch auf einen Wachrhythmus von 4h über gegangen. Die Nacht verlief relativ ruhig und wir wurden mit dem umwerfensten Sternenhimmel beschenkt, den wir jemals erlebt haben. Der große Wagen war viel größer als wir ihn kannten und stand so nah über uns.

Am frühen Morgen tauchte eine Gruppe Delfine auf und begleitete uns ein gutes Stück. Der zweite Tag hatte begonnen. Um 6 Uhr frischte es etwas auf und wir setzten die Segel. Herrlich, wie wir dahin glitten. Allein. Kein anderes Schiff war zu sehen. Nur wir, Augusta und die Biskaya. Der Tag sollte so ruhig bleiben, immer etwas Wind um segeln zu können. Erst zum Abend hin schlief er wieder ein. Nur unter Motor steuerte unser Autopilot durch die Nacht. Wachssystem: alle 3 Stunden Wechsel. Es war Neumond.


Fliegender Fisch an Bord

Der dritte Tag begann wieder mit leichtem Wind. Segel hoch, juhu. Plötzlich hörten wir ein akustisches Signal. Der Motor lief noch…es kam vom Motor. „Der Ölstand“, sagte Alex, „wie müssen ihn überprüfen“. Motor aus. Wir segelten dahin und warteten ab bis sich der Motor etwas abkühlte. Eine Stunde später widmeten wir uns bei ruhiger See unserem Motor: Ölstand überprüfen, Motoröl nachfüllen, Kühlflüssigkeit nachfüllen und gleich noch nachtanken. 40 Liter Diesel hatten wir in Kanistern mitgenommen. Mit der Schüttelpumpe ist das Nachtanken aus Kanistern auch auf dem Wasser eine einfache und saubere Sache. 

Gegen Mittag sahen wir das erste Mal ein anderes Schiff. Mit deutlich größerer Geschwindigkeit als unsere näherte sich ein großes Motorboot. Ich griff zum Funkgerät, ein kurzer netter Plausch ergab sich. Ein paar Minuten später wusste ich, dass die Galea auch Kurs A Coruna fuhr. Das Wetterfenster sollte weiterhin anhalten, am Abend aber auffrischen. Und in etwa drei Tagen ein Sturm aufziehen. Wir waren gut in der Zeit.

Wir ließen fast die gesamte Zeit der Biskaya-Querung den Motor mitlaufen um unsere 5kn Durchschnittsgeschwindigkeit halten zu können. Zu groß war unsere Sorge um einen verfrühten Wetterumschwung. Auf keinen Fall wollten wir vom angekündigtem Sturm überrascht werden. Wir hatten bei Abfahrt eine relativ sicheres Zeitfenster von vier Tagen. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 5kn würden wir für die 360sm 72 Stunden brauchen, also drei Tage.

Nur ein paar Stunden konnten wir ohne Motorunterstützung segeln. Es war wunderbar. Diese Stunden habe ich per Hand gesteuert, das wollte ich mir nicht nehmen lassen. Die restliche Zeit durften sich „Wendy Windy“ (unsere Aries-Windsteueranlage) und „Seiko“ (unser elektrischer Autopilot) das Steuern teilen. Die beiden waren eine großartige Unterstützung. Ohne sie hätte immer eine von uns ans Ruder gehen müssen.

Kurz vor Sonnenuntergang nahm der Wind plötzlich deutlich zu. Großsegel in erstes Reff. Die Welle wurde immer höher und begann sich über unserem Bug zu brechen. Schnell rollten wir das Vorsegel ein, Groß in zweites Reff. Wir spürten, dass die Nacht ungemütlich werden würde. Und natürlich wurde ich auch wieder seekrank.


Unter Deck …

Alex schickte mich unter Deck und verordnete mir zu schlafen, so viel ich nur könne. Sie übernahm diese Nacht, die gesamte Nacht, sie ganz allein, am Boot angeleint um nicht in der Plicht hin und her gewirbelt zu werden. Sie hat es gerockt, Wind und Welle getrotzt…meine Heldin! „Das möchtest du nicht gesehen haben“, sagte sie mir am nächsten Tag. „Die Welle war hoch, unglaublich hoch und der Wind heulte“. Unter Deck hatte ich das starke Schaukeln gespürt. Zweimal wäre ich fast aus der Koje gefallen. Das Schaukeln, das Ächzen und Knarzen von Augusta und mein schlechtes Gewissen, Alex in dieser Situation allein alle Arbeit machen zu lassen, hielten mich von einem tieferen Schlaf ab. Aber Ausruhen konnte ich mich dennoch, immerhin etwas. Um 6 Uhr morgens rief mich Alex an Deck. In der Ferne erschienen, hell erleuchtet, zwei große Schiffe. Wir konnten nicht eindeutig erkennen, ob sie Fahrt machten, in welche Richtung oder ob sie auf der Stelle blieben. Der Wind heulte immer noch, die Welle wirbelte Augusta hin und her. Konzentriert schauten wir auf die beiden Schiffe. Sie schienen Manöver zu fahren, aufeinander zu, dann voneinander weg. Ja natürlich, es waren Fischer. Wir versuchten sie über Funk zu erreichen. Keine Antwort. Fünf Minuten verstrichen. Erneuter Funkspruch, auf Spanisch, auf Englisch. Wieder keine Antwort. Wir blieben auf unserem Kurs, aber unser Kurs führte uns direkt auf die Fischer zu. Plötzlich meldet sich ein Stimme auf Spanisch über Funk: „Segelboot, Segelboot. Auf Kanal 13“. Wir wechselten schnell auf Kanal 13 und machten uns bemerkbar. Kurze Ansage: „Den Kurs könnt ihr nicht fahren. Fahrt West, West, streng West“. „Waaas?, oh nein“, dachten wir beide. West, streng West, also von 200 Grad auf 270 Grad war eine große Kursänderung und vor allem: in Richtung raus auf den Atlantik. Da wollten wir nicht hin. Dennoch, wir änderten unseren Kurs. Was blieb uns anderes übrig. Wir drosselten die Geschwindigkeit und versuchten erneut Kontakt über Funk aufzunehmen. Die Fahrt vollkommen wegnehmen konnten wir nicht, dann hätten die Wellen noch mehr mit uns gespielt.

„Aguanta, mujer.“ (zu deutsch: „Halt aus, Frau.“), schallte es wieder über Funk. Wir versuchten auszuhalten. Es waren die 10 längsten Minuten unseres Lebens.
Wie gebannt starrten wir auf die Fischer, immer mit einem Ohr am Funkgerät, als endlich die befreiende Nachricht kam: „Ihr könnt wieder auf euren Kurs gehen“. Erleichtert nehmen wir Fahrt auf und kämpften uns drei weitere Stunden durch Wind und Welle. Um 9 Uhr wurde es schlagartig ruhiger, der Wind schlief ein, die Welle wurde weniger und wir wechselten vom Windpiloten zum Autopiloten. Kurze Zeit später sahen wir die Konturen von Land am Horizont. Mein Herz machte einen Hüpfer, die Seekrankheit wurde weniger und ich wusste vom ersten Moment an: „Galizien. Ich liebe dich.“


Galiziens Küste

Ich schnappte mir die spanische Gastlandflagge und machte mich daran sie unter der Steuerbordsaling zu setzen: „Adieu la France. Bienvenido Espana“. Die letzten Stunden unserer Biskaya-Überquerung führten uns an der felsigen Küste Galiziens entlang. Wunderschön. Oder kam es uns nur so schön vor, weil wir endlich Land sahen und wussten, wir würden bald an Land gehen können? Naja, ich muss zugeben, teilweise schon. Hahaha, aber nur teilweise, denn Galizien würde uns sehr bald ans Herz wachsen.

Um 16 Uhr setzten wir einen Funkspruch an die Marina von A Coruna ab. Wir bekamen einen Liegeplatz zugewiesen, fuhren in den Hafen ein und machten Augusta nach 74h Fahrt wieder fest. Freude, Stolz, Müdigkeit, Erleichterung und noch mehr Freude und Stolz überwältigten uns.


A Coruna im Hafen


Wir hatten es geschafft: Biskaaaaayaaaa gerockt!

 

Viele liebe Grüße von Alex und Jana